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Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose

Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose

Titel: Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
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der Kutsche stieg, lief ein zweiter Attentäter auf ihn zu und zündete eine weitere Bombe. Der Zar wurde schwer verletzt hierhergebracht, in diesen Palast. Unsere ganze Familie war um ihn versammelt, als er starb. Ich sah mit eigenen Augen, wie das Leben aus ihm entwich. Ich erinnere mich so deutlich daran, als wäre es erst gestern geschehen. Es hatte ihm ein Bein abgerissen, und von dem anderen war auch nicht mehr viel übrig. Seine Eingeweide quollen heraus, und er rang nach Atem. Es war klar, dass er nur noch wenige Minuten zu leben hatte. Und dennoch wandte er sich nacheinander an jeden Einzelnen von uns, um uns seine letzten Segenswünsche auszusprechen – selbst in diesem Moment besaß er noch so viel Kraft. Er weihte meinen Vater. Er hielt meine Hand. Und dann starb er. Er muss unter unerträglichen Schmerzen gelitten haben. Du siehst also, ich kenne die Folgen dieser Form von Gewalt, und ich habe mir geschworen, dass kein Mitglied meiner Familie jemals wieder einem Attentat zum Opfer fallen darf.«
    Ich nickte und war von seinen Worten zutiefst gerührt. Meine Augen wanderten zu den vollen Bücherregalen, die die Wand zu meiner Rechten säumten. Ich betrachtete sie näher, wobei ich die Augen zusammenkniff, um die Buchtitel entziffern zu können.
    »Man wendet sich nicht von mir ab«, sagte der Zar, obwohl seine Stimme eher neugierig als verärgert klang. »Ich bin derjenige, der sich von jemandem abwendet.«
    »Entschuldigung, Euer Majestät«, sagte ich, wobei ich ihn wieder anschaute. »Das habe ich nicht gewusst.«
    »Noch mehr Entschuldigungen«, sagte er seufzend. »Ich merke, du wirst noch einige Zeit brauchen, bis du gelernt hast, welche Gepflogenheiten hier herrschen. Sie werden dir vielleicht … nun, ja, etwas seltsam vorkommen. Du interessierst dich für Bücher?«, fragte er dann mit einem Nicken in Richtung der Bücherregale.
    »Nein, Euer Majestät«, sagte ich und schüttelte dabei den Kopf. »Ich meine, ja, Euer Majestät.« Ich stöhnte innerlich auf und gab mir Mühe, weniger ignorant zu klingen. »Ich meine … ich interessiere mich für deren Inhalt.«
    Der Zar schmunzelte und schien wieder in Gelächter ausbrechen zu wollen, doch dann verdunkelte sich seine Miene, und er beugte sich zu mir herüber.
    »Mein Vetter bedeutet mir sehr viel, Georgi Daniilowitsch«, verkündete er. »Aber was noch wichtiger ist, er spielt eine herausragende Rolle bei unseren Kriegsanstrengungen – die Folgen seines Todes wären unabsehbar gewesen. Der Zar und das gesamte russische Volk sind dir also zu großem Dank verpflichtet.«
    Ich spürte, dass jeder weitere Protest ungebührlich gewesen wäre, und neigte stattdessen demütig den Kopf. Nachdem ich einen Moment lang in dieser Pose verharrt hatte, schaute ich wieder zu ihm auf.
    »Du musst müde sein, Junge«, sagte er. »Warum setzt du dich nicht?«
    Ich blickte mich um und entdeckte hinter mir einen Stuhl, der dem draußen auf dem Flur ähnelte, aber nicht ganz so prächtig verziert war wie der des Zaren. Ich fühlte mich gleich wesentlich entspannter, als ich darauf Platz genommen hatte. Im Sitzen ließ ich meinen Blick kurz durch den Raum schweifen, wobei ich den Büchern diesmal keine Beachtung schenkte, sondern mich den Gemälden und Gobelins an den Wänden widmete, aber auch den Kunstobjekten, die jeden freien Fleck verzierten. Eine solche Pracht war mir noch nie zu Augen gekommen. Es war schlichtweg atemberaubend. Hinter dem Zaren, ein Stück oberhalb seiner linken Schulter, erblickte ich einen sehr außergewöhnlichen Schmuckgegenstand, und obwohl ich inzwischen wusste, wie unhöflich es war, woanders hinzublicken als auf den Zaren, konnte ich meine Augen nicht davon lassen. Als der Zar von meinem Interesse Notiz nahm, drehte er sich zur Wand, um festzustellen, was meine Aufmerksamkeit erregt hatte.
    »Ah«, sagte er, wobei er sich wieder mir zuwandte und mich anlächelte. »Du hast eine meiner Kostbarkeiten bemerkt.«
    »Entschuldigung, Euer Majestät«, sagte ich, wobei ich mir alle Mühe gab, nicht die Achseln zu zucken. »Es ist bloß … also, ich habe noch nie etwas derartig Schönes gesehen.«
    »Ja, das ist ganz hübsch, nicht wahr?«, sagte er und griff mit beiden Händen nach der eiförmigen Figur, um sie dann zwischen uns auf die Tischplatte zu stellen. »Komm näher, Georgi. Dann kannst du es etwas genauer betrachten, wenn du möchtest.«
    Ich rückte meinen Stuhl nach vorn und beugte mich über den Tisch. Das Objekt war nicht

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