Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose
feinen jungen Frauen heran, möchte ich hinzufügen. Ich bin äußerst stolz auf sie. Die älteste, Olga, ist mittlerweile zwanzig. Vielleicht werden wir sie schon bald verheiraten, wer weiß. In den europäischen Königshäusern gibt es viele junge Männer, die als Gatte infrage kämen. Im Moment ist das natürlich unmöglich. Wegen dieses elenden Krieges. Doch lange wird es nicht mehr dauern. Sobald der Krieg vorbei ist. Die jüngste, die du hier siehst, ist mein Ein und Alles, die Großfürstin Anastasia, die demnächst fünfzehn wird.«
Ich betrachtete ihr Gesicht auf dem Foto. Sie war jung, natürlich, aber andererseits war ich auch nur knapp zwei Jahre älter als sie. Ich erkannte sie auf der Stelle wieder. Es war das Mädchen, das mir früher am Abend am Kastanienstand über den Weg gelaufen war, die junge Dame, die zu mir heraufgeschaut und mich angelächelt hatte, als sie eine Stunde zuvor von Bord ihres Schiffes gegangen war, diejenige, vor deren Blick ich mich voller Verlegenheit abgewendet hatte, total verwirrt von einer mich plötzlich durchströmenden Woge der Leidenschaft.
»Es gab Momente – ich glaube, ich kann dir dies anvertrauen, Georgi –, da dachte ich, mir sollte nie ein Sohn beschert werden«, fuhr er fort, wobei er mir den Rahmen aus den Händen nahm und mir einen anderen reichte, in dem das Porträtfoto eines bemerkenswerten Jungen steckte. »Wo ich dachte, Russland sollte nie ein Thronfolger beschert werden. Doch zum Glück gebar mir die Zarin dann vor etwa elf Jahren meinen Alexei. Er ist ein feiner Junge, und eines Tages wird er ein großer Zar sein.«
Ich registrierte den heiteren Gesichtsausdruck des Jungen auf dem Bild, war aber ein wenig überrascht, wie dünn er aussah, wie dunkel um die Augen herum. »Ganz ohne Zweifel, Euer Majestät«, erwiderte ich.
»Selbstverständlich wird er rund um die Uhr von Leibgardisten bewacht«, sagte er dann, und ich hatte den Eindruck, er rang ein wenig um Worte, so als sei er sich nicht sicher, wie viel er mir sagen wollte. »Und sie passen natürlich gut auf ihn auf. Aber ich habe an jemanden gedacht … also, an einen Begleiter, der vielleicht eher in seinem Alter ist. An jemanden, der alt genug und tapfer genug ist, um ihn notfalls auch beschützen zu können. Wie alt bist du, Georgi?«
»Sechzehn, Euer Majestät.«
»Sechzehn, das ist gut. Ein Junge von elf Jahren wird immer zu einem Burschen deines Alters aufschauen. Womöglich könntest du ihm ein gutes Vorbild sein.«
Ich atmete nervös aus. Der Großfürst hatte bereits etwas in der Art erwähnt, als er mich in Kaschin am Krankenbett besucht hatte, doch ich hatte bezweifelt, dass man einen Muschik wie mich tatsächlich mit einer solchen Aufgabe betrauen würde. Nun schien es, als würden meine kühnsten Hoffnungen übertroffen. Ich rechnete damit, jeden Moment aufzuwachen und zu entdecken, dass dies alles nur ein Traum war, dass sich der Zar, das Winterpalais und die gesamte darin versammelte Pracht, inklusive des prächtigen Fabergé-Eies, in Luft aufgelöst hatten und ich plötzlich wieder auf dem Fußboden unserer Hütte in Kaschin lag und von Daniil mit Fußtritten traktiert wurde, damit ich ihm sein Frühstück zubereitete.
»Es wäre mir eine große Ehre, Euer Majestät«, sagte ich schließlich. »Falls Ihr findet, ich sei dessen würdig.«
»Der Großfürst ist jedenfalls der Ansicht, du seist es«, sagte er, wobei er sich nun erhob, und selbstverständlich folgte ich seinem Beispiel und erhob mich ebenfalls. »Du scheinst ein anständiger junger Mann zu sein, und ich bin mir sicher, du bist der Aufgabe gewachsen.« Wir gingen zur Tür, und auf dem Weg dorthin legte er seine kaiserliche Hand auf meine Schulter, was mir einen Schauder durch die Glieder jagte: Der Zar, der von Gott höchstselbst Auserwählte, berührte mich! Es war die größte Gnade, die ich jemals empfangen hatte. Er griff mir fest an die Schulter, und ich fühlte mich dermaßen geehrt und überwältigt, dass mich der stechende Schmerz nicht kümmerte, der mir durch den Arm schoss, als er unabsichtlich auf meine noch immer nicht ganz verheilte Schusswunde drückte.
»Ich kann dir also vertrauen, Georgi Daniilowitsch?«, fragte er mich, wobei er mir tief in die Augen schaute.
»Das könnt Ihr, Euer Majestät«, erwiderte ich.
»Ich hoffe es«, sagte er, und in seiner Stimme lag eine Spur von tiefer Verzweiflung und großem Kummer. »Wenn du diese Verantwortung übernehmen möchtest, dann wäre da noch
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