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Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose

Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose

Titel: Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
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höher als neunzehn oder zwanzig Zentimeter und etwa halb so breit: ein golden und weiß emailliertes Ei, verziert mit winzigen Porträts und getragen von einem Adler, der auf einem roten, mit Juwelen besetzten Postament stand.
    »Das ist von einem Künstler namens Fabergé«, erklärte der Zar. »Er schenkt meiner Familie schon seit Langem zu jedem Osterfest ein solches Ei – jedes Jahr eine neue Kreation, und immer mit einer Überraschung im Inneren des Eies. Ist das nicht fantastisch?«
    »So etwas habe ich noch nie gesehen«, sagte ich und hätte dieses Kleinod liebend gern angefasst, befürchtete aber, ich könnte es dabei irgendwie kaputtmachen.
    »Dieses Ei haben die Zarin und ich vor zwei Jahren bekommen, anlässlich der Dreihundertjahrfeier der Herrschaft der Romanows. Diese Miniaturbildnisse hier, das sind alles Porträts ehemaliger Zaren.« Er drehte das Ei ein wenig herum, um mich auf einige seiner Vorfahren aufmerksam zu machen. »Michail Fjodorowitsch, der Begründer unserer Dynastie«, sagte er und deutete dabei auf ein unscheinbares, hutzeliges Männlein mit einer spitzen Kopfbedeckung. »Und das hier ist Peter der Große, der ein Jahrhundert später gelebt hat. Und Katharina die Große, wieder ein halbes Jahrhundert später. Und hier mein Großvater, von dem ich dir vorhin erzählt habe, Alexander II . Und mein Vater.«, fügte er hinzu und zeigte dabei auf einen Mann, dem er fast wie aus dem Gesicht geschnitten war. »Alexander III .«
    »Und hier seid Ihr, Euer Majestät«, bemerkte ich und zeigte auf das zentrale Porträt. »Zar Nikolaus II .«
    »In der Tat«, sagte er, sichtlich darüber erfreut, dass ich ihn erkannt hatte. »Ich bedaure nur, dass der Künstler nicht noch ein weiteres Porträt hinzugefügt hat.«
    »Von wem denn, Euer Majestät?«
    »Na, von meinem Sohn natürlich. Vom Zarewitsch Alexei. Ich finde, sein Konterfei hätte hier sehr gut hingepasst – als ein Zeugnis unserer Hoffnungen für die Zukunft.« Er sinnierte einen Moment lang darüber, bevor er weiterredete. »Und wenn man das hier macht«, er fasste an die Spitze des Eies und öffnete behutsam einen kleinen Deckel, »dann stößt man auf die Überraschung, die es enthält.«
    Ich lehnte mich noch weiter nach vorn, sodass ich praktisch quer über der Tischplatte lag, und hielt den Atem an, als ich entdeckte, was sich im Innern der Kugel verbarg: die Kontinente, in Gold gefasst, und die Ozeane, nachempfunden mittels geschmolzenem blauem Stahl.
    »Das Ei enthält zwei nördliche Hemisphären«, erzählte er mir, und seinem Tonfall war zu entnehmen, wie sehr er es genoss, ein aufmerksames Publikum zu haben. »Das hier ist das russische Herrschaftsgebiet im Jahre 1613, als mein Vorfahr Michail Fjodorowitsch den Thron bestieg. Und das hier«, fuhr er fort, wobei er die Kugel umdrehte, »sind unsere Territorien dreihundert Jahre später, unter meiner Herrschaft. Ein gehöriger Unterschied, wie du siehst.«
    Ich schüttelte den Kopf. Es hatte mir die Sprache verschlagen. Das Ei bestand aus so feinen Details, war so exquisit, dass ich noch stundenlang hätte davorsitzen können, ohne mich an seiner Schönheit sattgesehen zu haben. Dies sollte jedoch nicht sein, denn nachdem er noch eine Weile auf die von ihm beherrschten Länder geblickt hatte, klappte der Zar den Deckel des Eies wieder zu und stellte es zurück auf den Wandtisch, wo er es hergeholt hatte.
    »So viel zu diesem Thema«, sagte er, presste seine Handflächen zusammen und schaute auf die Uhr an der ihm gegenüberliegenden Wand. »Es ist spät geworden. Vielleicht sollte ich dir jetzt erzählen, warum ich dich sprechen wollte.«
    »Natürlich, Euer Hoheit«, erwiderte ich.
    Er schaute mich eine Weile an, so als suchte er nach den richtigen Worten. Sein Blick durchbohrte mich dabei so tief, dass ich ihm nicht standhielt und wegschaute. Dabei fiel mir eine gerahmte Fotografie ins Auge, die auf seinem Schreibtisch stand. Seine Augen folgten meinem Blick dorthin.
    »Ah«, sagte er mit einem Kopfnicken. »Dann fangen wir einfach damit an.« Er nahm die Fotografie in die Hand und reichte sie mir. »Ich nehme an, du bist mit der kaiserlichen Familie vertraut.«
    »Ja, ich glaube schon, Euer Majestät«, erwiderte ich. »Natürlich habe ich noch nicht die Ehre gehabt, sie …«
    »Die vier jungen Damen auf diesem Bild«, fuhr er fort, ohne auf mich einzugehen, »sind meine Töchter, die Großfürstinnen Olga, Tatjana, Maria und Anastasia. Sie wachsen allesamt zu überaus

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