Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose
Anwesenheit im ersten Zug.
Selbstverständlich waren die Fußböden, Wände und Decken mit den erlesensten Materialien verkleidet, die aus indischem Teakholz gezimmerten Wände mit einer geprägten Lederpolsterung und goldseidenen Einlegearbeiten ausgestattet. Unter unseren Füßen befand sich ein schwerer, samtweicher Teppich, der von einem Ende der Waggons bis zum anderen reichte, während das Mobiliar aus feinster Buche oder indischem Satinholz gefertigt und mit Schnitzereien oder Vergoldungen sowie Bezügen aus glitzerndem englischen Cretonne versehen war. Es schien, als hätte man das komplette Winterpalais einfach mit Rädern versehen, sodass keinem der an Bord befindlichen Reisenden jemals in den Sinn gekommen wäre, dass sich jenseits der Fensterscheiben Städte und Dörfer befanden, wo die Menschen in bitterer Armut lebten und sich zunehmend von ihrem Zaren im Stich gelassen fühlten.
»Ich wage es kaum, mich zu bewegen, aus Angst, ich könnte vielleicht etwas kaputt machen«, sagte ich zum Zarewitsch, während wir an den Feldern der Landarbeiter und den kleinen Weilern vorüberrauschten, wo die Leute herauskamen, um zu winken und Hurra zu rufen. Dabei wirkten sie missmutig, ihre Lippen waren feindselig geschürzt, ihre Leiber vor Unterernährung ausgemergelt. Es gab fast keine jungen Männer unter ihnen, aber das war auch nicht verwunderlich: Die meisten von ihnen waren entweder gefallen, untergetaucht oder irgendwo an der Front, wo sie für den Fortbestand unseres merkwürdigen Lebensstils kämpften.
»Wie meinst du das, Georgi?«, fragte er.
»Na ja, hier ist alles so prunkvoll«, sagte ich, wobei ich meinen Blick über die strahlend blauen Wände und die Seidenvorhänge an den Fenstern schweifen ließ. »Siehst du das nicht?«
»Sind denn nicht alle Züge so wie dieser?«, fragte er mich überrascht.
»Nein, Alexei«, erwiderte ich mit einem Lächeln. Was mich in blankes Erstaunen versetzte, war für den Sohn des Zaren etwas ganz und gar Alltägliches. »Nein, das hier ist ein besonderer Zug.«
»Mein Großvater hat ihn bauen lassen«, sagte er mit dem Gesichtsausdruck eines Menschen, der davon ausgeht, dass jedermanns Großvater ein bedeutender Mann sei. »Alexander III . Es heißt, er sei vom Eisenbahnwesen äußerst fasziniert gewesen.«
»Eins verstehe ich nicht«, sagte ich. »Es ist die Geschwindigkeit, mit der dieser Zug fährt.«
»Wieso, was stimmt damit nicht?«
»Na ja … ich habe nicht viel Ahnung von diesen Dingen, doch ich möchte wetten, dass ein Zug wie dieser viel schneller fahren kann.« Seit wir St. Petersburg verlassen hatten, waren wir nie schneller als vierzig Stundenkilometer gefahren. Der Zug war während der gesamten Fahrt nie schneller oder langsamer geworden, was die Reise angenehm ruhig machte, aber auch ein wenig enttäuschend. »Es gibt Pferde, die diesen Zug ohne Weiteres überholen könnten.«
»Er fährt immer so langsam«, erklärte er. »Jedenfalls wenn ich an Bord bin. Mutter meint, wir dürfen keine plötzlichen Stöße oder Erschütterungen riskieren.«
»Man könnte meinen, du seist aus Porzellan«, sagte ich, wobei ich meinen sozialen Rang für einen Moment vergaß und meine Worte sofort bereute, denn als er zu mir herüberschaute, verengten sich seine Augen missbilligend und fixierten mich auf eine Weise, die mir das Blut in den Adern gefrieren ließ. Dieser Junge hatte tatsächlich das Zeug zum Zaren. »Entschuldigung, Euer Hoheit«, fügte ich nach einer kurzen Weile hinzu, doch er schien meinen Fauxpas bereits vergessen zu haben und war wieder in sein Buch vertieft, einen dicken Wälzer zur Geschichte der russischen Landstreitkräfte, den sein Vater ihm ein paar Abende zuvor gegeben hatte und mit dem er sich seitdem eingehend beschäftigte. Wie ich bereits mitbekommen hatte, war er ein heller Junge, dem das Lesen genauso viel Spaß machte wie das Herumtollen im Freien, wovon seine fürsorglichen Eltern ihn jedoch ständig abzuhalten versuchten.
Ich war dem Zarewitsch am Morgen nach meiner Ankunft im Winterpalais vorgestellt worden und hatte ihn auf Anhieb gemocht. Trotz seiner blassen Gesichtsfarbe und der dunklen Ringe unter seinen Augen strahlte er großes Selbstvertrauen aus, was ich darauf zurückführte, dass er die ungeteilte Aufmerksamkeit von jedem in seinem Umkreis genoss. Zur Begrüßung reichte er mir seine Hand, die ich stolz schüttelte, während ich mich respektvoll vor ihm verbeugte und mich vorstellte.
»Du wirst also mein neuer
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