Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose
Alter berücksichtigen, nicht aber seine Position. »Also werde ich Euch wohl eine ganze Weile beschützen können.«
»Jatschmenew«, fuhr Graf Tscharnetzki sofort dazwischen. Zu einer Entschuldigung bereit drehte ich mich zu ihm um, bemerkte aber dann, wie mich der Zarewitsch mit weit aufgerissenem Mund anschaute. Einen Moment lang wusste ich nicht, ob er gleich in Gelächter ausbrechen oder die anderen Wachen hereinrufen würde, damit sie mich in Ketten legten und hinausschleppten, doch am Ende schüttelte er einfach nur den Kopf, so als seien ihm Normalsterbliche wie ich ein ständiger Quell der Verwunderung und Belustigung. Auf diese Weise begann unsere Beziehung.
In den folgenden Wochen entwickelte sich zwischen uns eine angenehme Ungezwungenheit. Er wollte, dass ich ihn Alexei nannte, was ich liebend gern tat, denn einen Elfjährigen den ganzen Tag über mit »Euer Hoheit« oder auch nur mit »Ihr« anzureden, wäre doch des Guten zu viel gewesen. Er nannte mich Georgi, was ihm gefiel, denn er hatte einmal ein Hündchen dieses Namens besessen – bis es unter die Räder einer der Kutschen seines Vaters gekommen war, ein Sachverhalt, den ich als ein böses Omen ansah.
Er hatte seinen geregelten Tagesablauf, und wo immer er hinging, begleitete ich ihn. Morgens besuchte er mit seinen Eltern die Messe, und anschließend begab er sich unverzüglich zum Frühstück und dann zum Einzelunterricht bei Monsieur Gilliard. Den Nachmittag verbrachte er draußen in den Gärten, wobei mir nicht entging, dass seine Eltern, mochten sie auch noch so beschäftigt sein, stets ein Auge auf ihn hatten und ihm alle Aktivitäten untersagten, die ihn möglicherweise zu sehr angestrengt hätten. Ich führte dies darauf zurück, dass sie befürchteten, dem Thronerben könne irgendetwas zustoßen. Abends speiste er im Kreise seiner Familie, und danach nahm er sich ein Buch vor, oder er lud mich zu einer Partie Backgammon ein, einem Würfelspiel, das er mir an unserem ersten gemeinsamen Abend beigebracht hatte und bei dem ich ihn noch nie hatte schlagen können.
Und dann waren da noch seine vier Schwestern, Olga, Tatjana, Maria und Anastasia, die er bei jeder sich bietenden Gelegenheit heimsuchte und denen er im gleichen Ausmaß auf die Nerven ging und die ihn liebten und verhätschelten. Als Alexeis Leibwächter hielt ich mich tagsüber ständig in der Gegenwart der Großfürstinnen auf, die mich für gewöhnlich allesamt ignorierten.
Das heißt, alle außer derjenigen, in die ich mich verliebt hatte.
»Vergiss die Pferde «, sagte ich zu Alexei, als ich dasaß und aus dem Fenster starrte. » Ich könnte schneller laufen als dieser Zug hier fährt.«
»Warum versuchst du es dann nicht, Georgi Daniilowitsch? Ich wette, der Lokomotivführer hält den Zug für dich an.«
Daraufhin schnitt ich eine Grimasse, und er musste kichern, ein untrüglicher Beweis dafür, dass er alles Mögliche sein mochte – gebildet, redegewandt, ein Thronerbe, der zukünftige Herrscher über Millionen von Menschen –, aber im Grunde seines Herzens nur das war, was jeder russische Mann irgendwann einmal gewesen war.
Ein kleiner Junge.
Die Zarin, Alexandra Fjodorowna, hatte sich von Anfang an gegen diese Reise ausgesprochen.
Sie war das Mitglied der kaiserlichen Familie, mit dem ich seit meiner Ankunft in St. Petersburg am wenigsten Kontakt gehabt hatte. Der Zar war stets freundlich und zugänglich, und wenn ich ihm über den Weg lief, erinnerte er sich sogar fast immer an meinen Namen, was ich als einen großen Gunstbeweis empfand. Der Verlauf des Krieges machte ihm jedoch schwer zu schaffen, und dies spiegelte sich auch in seinem Gesicht wider, in den Sorgenfalten auf seiner Stirn und in den dunklen Ringen unter seinen Augen. Er verbrachte die meiste Zeit in seinem Arbeitszimmer, wo er sich entweder mit seinen Generälen beriet, deren Gesellschaft er genoss, oder die Führer der Duma empfing, deren bloße Anwesenheit er als einen Affront zu empfinden schien. Er achtete indes immer darauf, dass sich seine Stimmung nicht auf sein Verhalten gegenüber den Menschen um ihn herum auswirkte. Wann immer er mich sah, grüßte er mich höflich zurück und fragte mich, wie mir meine neue Stelle gefiel. Ich hatte noch immer großen Respekt vor ihm, aber zugleich begann ich, ihn persönlich zu mögen, und ich war sehr stolz darauf, ihm dermaßen nahe sein zu dürfen.
Die Zarin, eine große, attraktive Frau mit scharf geschnittener Nase und forschendem Blick, war
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