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Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose

Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose

Titel: Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
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nicht der Fall war, hasste ich sie dafür, dass sie mich dazu gebracht hatte, jeden ihrer Schritte zu beargwöhnen.
    »Danke«, sagte sie, als ich die Tasse vor ihr abstellte. »Das habe ich gebraucht. Draußen ist es jetzt schon ziemlich kühl. Ich hätte einen Schal mitnehmen sollen. Und, wie war dein Vormittag?«
    Ich zuckte die Achseln, verärgert über ihr fröhliches Gebaren und über das belanglose Geplapper, das sie von sich gab, als sei nicht das Geringste vorgefallen, als wäre unser beider Leben so, wie es immer gewesen war und wie es immer sein würde. »Wie immer«, sagte ich. »Langweilig.«
    »Ach, Georgi«, sagte sie, wobei sie mit der Hand über die Tischplatte langte und sie flach auf meine legte. »Warum sagst du das? Dein Leben ist doch nicht langweilig.«
    »Nun, es ist jedenfalls nicht so aufregend wie deins«, sagte ich und bereute es sofort, denn sie erstarrte und fragte sich offenbar, ob diese Worte tatsächlich so sarkastisch gemeint waren, wie sie geklungen hatten. Sie ließ ihre Hand noch für ein paar Sekunden auf meiner liegen, und dann zog sie sie wieder zurück, schaute aus dem Fenster und nippte vorsichtig an ihrem Tee. Ich wusste, dass sie erst wieder mit mir reden würde, wenn ich damit begann. Nach über dreißig Jahren Ehe gab es an ihrem Verhalten kaum etwas, das ich nicht voraussehen konnte. Natürlich konnte sie mich überraschen – das hatte sie ja bewiesen. Trotzdem kannte ich sie besser als irgendjemand sonst.
    »Die neue Kollegin hat heute angefangen«, sagte ich schließlich mit einem Räuspern, um ein unverfängliches Gesprächsthema anzuschneiden. »Es gibt also doch etwas Neues.«
    »Ach ja?«, fragte sie mit einem neutralen Tonfall. »Und, wie ist sie so?«
    »Sehr angenehm. Wissbegierig. Und ziemlich belesen. Hat in Cambridge Literatur studiert. Furchtbar schlau, diese Person.«
    Soja schmunzelte und unterdrückte ein Lachen. » Furchtbar schlau!«, wiederholte sie. »Wie englisch du geworden bist, Georgi.«
    »Bin ich das?«
    »Ja. Solche Formulierungen hättest du früher, als wir hier ankamen, nie benutzt. Das kommt wahrscheinlich von den Professoren und Geisteswissenschaftlern, mit denen du all die Jahre in der Bibliothek zu tun gehabt hast.«
    »Ja, wahrscheinlich«, sagte ich. »Es heißt, dass sich die persönlichen Sprachgewohnheiten ändern, je mehr man sich an eine andere Gesellschaft anpasst.«
    »Ist sie so eine graue Maus?«
    »Wer?«, fragte ich.
    »Na, deine neue Mitarbeiterin. Wie heißt sie überhaupt?«
    »Miss Llewellyn.«
    »Eine Waliserin also?«
    »Ja.«
    »Und, ist sie eine graue Maus?«
    »Nein. Weißt du, bloß weil sie sich dazu entschieden hat, in einer Bibliothek zu arbeiten, muss sie nicht gleich so ein Mäuschen sein, das rot anläuft, sobald es ein Mann anspricht.«
    Soja seufzte und starrte mich an. »In Ordnung«, sagte sie. »Ich habe mir nichts weiter dabei gedacht. Ich wollte nur ein bisschen Konversation treiben.«
    Reizbarkeit. Launen. Angst. Ein unterbewusster Drang, an allem, was sie sagte, etwas auszusetzen. Ein Bedürfnis, sie zu kritisieren, ihr ein schlechtes Gewissen zu machen. Ich spürte dies jedes Mal, wenn wir beide uns unterhielten. Und ich hasste es. Das waren nicht wir, wie wir sein sollten. Nein, wir sollten einander lieben und den anderen mit Respekt und Güte behandeln. Schließlich waren wir nie Georgi und Soja gewesen, sondern immer GeorgiundSoja.
    »Sie wird schon zurechtkommen«, sagte ich, nun in einem etwas versöhnlicheren Tonfall, denn ich wollte nicht noch mehr Öl ins Feuer gießen. »Ohne Miss Simpson wird es natürlich nicht mehr dasselbe sein. Oder ohne Mrs Harris. Aber so ist das nun mal. Das Leben geht weiter. Die Zeiten ändern sich.«
    »Ja«, sagte sie, wobei sie nach unten in ihre Handtasche griff und eine aktuelle Ausgabe der Times hervorholte. »Hast du das gesehen?«, fragte sie und legte die Zeitung vor mir auf den Tisch.
    »Ja, habe ich«, erwiderte ich nach einem kurzen Zögern. Ich las die Times jeden Morgen in der Bibliothek, und sie wusste das. Mich überraschte jedoch, dass sie es gesehen hatte, denn Soja war kein Mensch, der sich gern über das Tagesgeschehen informierte, insbesondere wenn es, so wie damals, hauptsächlich kriegerischer Natur war.
    »Und, was sagst du dazu?«
    »Ich sage dazu gar nichts«, erwiderte ich, wobei ich mir die Zeitung schnappte und einen Moment lang das Foto mit dem Konterfei von Josef Stalin betrachtete, den buschigen Schnauzbart, die unter schweren

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