Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose
Lidern hervorlugenden Augen, die mich mit geheuchelter Herzlichkeit anlächelten. »Was sollte ich deiner Ansicht nach dazu sagen?«
»Wir sollten eine Party geben«, sagte sie mit einer kalten, aber zugleich frohlockenden Stimme. »Wir sollten das feiern. Findest du das nicht auch?«
»Nein, finde ich nicht«, erwiderte ich. »Für mich ist das kein Grund zur Freude. Na schön, der Kerl ist tot. Aber wird sich dadurch irgendetwas ändern? Glaubst du etwa, es wird wieder so wie früher?«
»Natürlich nicht«, sagte sie, bevor sie mir die Zeitung aus der Hand nahm, noch einen kurzen Blick auf das Foto warf, sie zusammenfaltete und wieder in ihrer Tasche verstaute. »Ich bin nur froh darüber, das ist alles.«
»Worüber? Dass er gestorben ist?«
»Nein, dass er tot ist.«
Ich äußerte mich nicht dazu. Es missfiel mir, einen solchen Hass in ihrer Stimme zu vernehmen. Natürlich war ich kein Bewunderer Stalins, ganz im Gegenteil. Ich hatte genug über seine Taten gelesen, um ihn zu verabscheuen. In den fünfunddreißig Jahren seit meinem Abschied von Russland hatte ich mich genügend über die Ereignisse in meiner Heimat informiert, um mich nun, wo er nicht mehr am Ruder war, erleichtert zu fühlen. Doch einen Tod konnte ich nicht feiern, selbst seinen nicht.
»Aber wie dem auch sei«, fuhr ich nach einem Moment fort, »ich muss bald wieder zur Arbeit zurück, und ich würde gern noch hören, wie es dir heute Vormittag ergangen ist. Wie ist es gelaufen?«
Soja blickte hinab auf den Tisch und schien darüber enttäuscht, dass wir das Thema so schnell wechselten. Vielleicht hätte sie sich lieber noch etwas länger über Stalin und seine Taten unterhalten, über seine politischen Säuberungen und all die anderen Verbrechen. Wenn sie unbedingt wollte, hatte ich bereits insgeheim beschlossen, so konnte sie dieses Gespräch führen. Allerdings nicht mit mir. »Ganz gut«, erwiderte sie ruhig.
»Nur ganz gut?«
»Diesmal war es etwas … nun ja, etwas komplizierter als letztes Mal, denke ich.«
Ich ließ mir ihre Antwort durch den Kopf gehen und zögerte kurz, bevor ich nachhakte. »Kompliziert?«, fragte ich. »Inwiefern?«
»Das ist schwer zu erklären«, sagte sie, wobei sie ein wenig die Stirn krauste, als sie darüber nachdachte. »Letzte Woche, bei unserem ersten Termin, schien sich Dr. Highsmith nur für meinen Alltag zu interessieren, für meinen üblichen Tagesablauf und so weiter. Er wollte wissen, ob mir meine Arbeit gefällt, seit wann ich in London lebe, wie lange wir beide verheiratet sind. Also ziemlich allgemeine Fragen. Wie Smalltalk auf einer Party.«
»Und, war dir das nicht unangenehm?«, fragte ich.
»Nein, eigentlich nicht«, sagte sie mit einem Achselzucken. »Natürlich stand für mich vorher fest, wie viel ich ihm von mir erzählen wollte, also, ich hatte mir da eine Grenze gesetzt. Ich kenne den Mann ja nicht. Aber er schien das zu merken. Er hat schon bald versucht, mich aus der Reserve zu locken.«
Ich nickte. »Und wie weit bist zu zurückgegangen?«
»Nun, ziemlich weit, auf die eine oder andere Weise«, räumte sie ein. »Ich habe davon gesprochen, wie es während des Krieges war, und von den Jahren zwischen Kriegsausbruch und unserer Ankunft in England. Und davon, wie lange wir beide auf ein Kind gewartet hatten. Ich habe …« Sie hielt inne und biss sich auf die Unterlippe, doch dann blickte sie auf und fuhr mit wesentlich festerer Stimme fort. Ich fragte mich, ob dies etwas war, zu dem Dr. Highsmith sie ermuntert hatte. »Ich habe auch von Paris gesprochen.«
»Tatsächlich?«, fragte ich überrascht. »Wir beide reden nie über Paris.«
»Nein«, sagte sie, wobei ihr Tonfall etwas Vorwurfsvolles hatte. »Nein, das tun wir nicht.«
»Sollten wir es denn?«
»Vielleicht.«
»Wovon hast du sonst noch gesprochen?«
»Von Russland.«
»Du hast von Russland gesprochen?«
»Ja, aber auch nur ganz allgemein«, sagte sie. »Es kam mir irgendwie komisch vor, so private Dinge mit jemandem zu besprechen, den ich gerade erst kennengelernt habe.«
»Du vertraust ihm nicht?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, das ist es nicht«, sagte sie. »Ich vertraue ihm schon. Es ist bloß … es ist seltsam, denn er stellt mir eigentlich keine Fragen. Er spricht einfach nur mit mir. Wir unterhalten uns. Und dann merke ich plötzlich, dass ich mich ihm gegenüber öffne. Dass ich ihm Dinge erzähle. Es ist fast eine Form von Hypnose. Ich habe vorhin darüber nachgedacht, in seiner Praxis,
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