Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose
Tulpen, die gleich zu strahlendem Leben erblühen würden, während es in Wirklichkeit einem Rosenbusch im Herbst glich, an dem die Blätter langsam welkten und sich schwarz färbten und dem nur noch der Zerfall und die Fäulnis des Winters bevorstanden. Verloren zwischen den Karteikästen der British Library, gab ich den ganzen Tag über keinen Ton von mir, während sich diese ernüchternde Vorstellung in meinem Kopf festsetzte, und als Miss Llewellyn mich fragte, ob es mir gut gehe, konnte ich meine gedrückte Stimmung nur mit einem verlegenen Lächeln abtun und gab ihr eine ehrliche Antwort.
»Ich weiß nicht«, sagte ich. »Mir steht ein ziemlich ungewöhnlicher Abend bevor, das ist alles.«
»Ach ja?«, fragte sie, denn nun war ihre Neugier geweckt. »Das klingt ja interessant. Gehen Sie aus?«
»Leider nicht. Meine Frau hat den Freund unserer Tochter zum Abendessen eingeladen. Es ist das erste Mal, und ich freue mich nicht gerade darauf.«
»Vor zwei Monaten habe ich meinen Freund mit nach Hause gebracht, um ihn meinen Eltern vorzustellen«, sagte sie, wobei sie angesichts der Erinnerung an jenen Tag ein wenig zitterte und ihre in einer Strickjacke steckenden Arme um sich schlang. »Das Ganze endete mit einem fürchterlichen Streit. Mein Vater schmiss Billy achtkantig raus und sagte, er würde nie wieder ein Wort mit mir reden, wenn ich weiterhin mit ihm gehen sollte.«
»Tatsächlich?«, fragte ich und hoffte, mein Abend würde nicht ganz so dramatisch verlaufen. »Er hat ihn also nicht gemocht?«
Sie verdrehte die Augen, als wäre die Szene zu schrecklich gewesen, um sie mit Worten beschreiben zu können. »Es war alles so sinnlos«, fuhr sie dann fort. »Billy sagte etwas, das er besser nicht gesagt hätte, und daraufhin sagte mein Vater etwas noch Schlimmeres. Mein Billy hält sich für einen Revolutionär, müssen Sie wissen, und Dad hat mit solchen Leuten nichts am Hut. Er ist einer dieser unverbesserlichen Traditionalisten, die noch immer dem Empire nachtrauern – ich denke, Sie kennen die Sorte. Sie hätten hören sollen, wie sich die beiden angeschrien haben, als sie auf unseren armen alten König – er möge in Frieden ruhen – zu sprechen kamen. Ich dachte, die Nachbarn würden jeden Moment die Polizei rufen! Darf ich Sie mal fragen, wie alt Ihre Tochter ist, Mr Jatschmenew?«
»Ja, sie ist gerade neunzehn geworden.«
»Na, dann dürfte das erst der Anfang sein. Ich garantiere Ihnen, in Zukunft werden Sie noch jede Menge solcher Abendessen erleben. Sie werden sehen, dieser Typ wird nur der erste von mindestens einem Dutzend sein.«
Dieser gut gemeinte Hinweis war mir natürlich alles andere als ein Trost. An jenem Abend kehrte ich etwas später nach Hause zurück als üblich, denn auf dem Heimweg hatte ich noch eine Kirche in unserem Viertel aufgesucht, um dort eine Kerze anzuzünden: Es war der zwölfte August, und an diesem Datum musste ich – so lange ich lebe – ein Versprechen erfüllen.
»Georgi«, sagte Soja, als ich durch die Tür hereinkam und sie sich nach mir umdrehte, ihr Gesicht vor Sorge gerötet. »Ja, wo bleibst du denn? Ich habe dich bereits vor einer halben Stunde zurückerwartet.«
»Entschuldigung«, sagte ich und dabei fiel mir auf, wie viel Mühe sie in ihre Garderobe und ihr Make-up investiert hatte. »Du siehst ja richtig toll aus«, fügte ich hinzu, ein wenig darüber verwundert, welchen Aufwand sie für einen Jungen trieb, den wir gar nicht kannten.
»Musst du dabei so überrascht klingen?«, sagte sie in einem beleidigten Tonfall. »Hin und wieder mache ich mich gern ein wenig schön, weißt du?«
Ich lächelte und gab ihr einen Kuss. Früher, man kann sagen jahrzehntelang, wäre dieser kleine Wortwechsel als eine harmlose, liebevolle Neckerei durchgegangen. Doch nun lag darin eine gewisse Gereiztheit, das Gefühl, dass das, was zwischen uns beiden vorgefallen war und was wir bereinigt zu haben glaubten, keineswegs vergeben und vergessen war, und dass ein zum falschen Zeitpunkt geäußertes falsches Wort, so wie bei Miss Llewellyns Freund und ihrem Vater, zu einer verheerenden Auseinandersetzung führen könnte.
»Nimmst du ein Bad?«, fragte sie mich.
»Brauche ich eins?«
»Du hast den ganzen Tag gearbeitet«, erwiderte sie ruhig, biss sich dabei jedoch auf die Unterlippe.
»Na, dann sollte ich wohl besser eins nehmen«, seufzte ich, wobei ich meine Aktentasche einfach fallen ließ, sodass Soja gezwungen wäre, sie aufzuheben und wegzuräumen,
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