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Das Hausbuch der Legenden

Das Hausbuch der Legenden

Titel: Das Hausbuch der Legenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Adolf Narciss
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und einem Glas sehr ähnlich sieht, und reichte es dem Fuhrmann. Er füllte es mit Wein, und die Mutter Gottes trank ihn, und in dem Augenblick ward der Wagen frei, und der Fuhrmann konnte weiterfahren. Das Blümchen heißt noch immer Muttergottesgläschen.

    Die Witwe und der Sohn

    EINE FRAU verlor früh ihren Mann. Er hinterließ ihr ein einziges Kind, einen Sohn, den sie zärtlich liebte. Der entwuchs bald der Frauenkemenate und zog mit den anderen Rittern in den Kampf. Dabei geriet er eines Tages in die Hände seiner Feinde, wurde gefesselt und in den Kerker geworfen.
    Die Mutter war untröstlich, klagte und weinte bei Tag und Nacht, sie jammerte übergenug. Täglich betete sie zur Mutter Maria und bat sie, den Sohn von allen Fesseln und von allen Feinden zu befreien; sie betete innig, sie flehte, sie schrie um Hilfe. Aber es geschah nichts. Niemand schloß ihr das Gefängnis auf. Das verdroß sie sehr.
    Eines Tages kam sie in eine Kirche, in der sie ein meisterhaft geschnitztes Bild Mariens fand. Milde und prächtig saß die Gottesmutter da, das göttliche Kind auf dem Arm. Als die Frau sah, daß sie allein in der Kirche war, trat sie vor das Bild, kniete nieder, hob ihre Hände und sagte in ihrem einfältigen und betrübten Sinn: »Maria, Jungfrau gut, viele Tage, am Abend und am Morgen, habe ich dich innig gebeten, mir in meinen Sorgen zu helfen und meinen geliebten Sohn von seinen Fesseln zu lösen. Alle meine Gebete blieben unerhört, und ich kann mir wohl diese Arbeit sparen. Aber ich werde jetzt Gleiches mit Gleichem vergelten. Die Not zwingt mich dazu. Ich werde dein Kind als Geisel mitnehmen und erst wieder bringen, wenn du meinen Sohn befreit hast. Du mußt es dir also gefallen lassen, daß ich deinen Sohn mit mir nach Hause nehme.«

    Nach diesen Worten trat sie näher an das Bildwerk, nahm der Muttergottes das Kind aus dem Schoß, wickelte es in ein Tuch und trug es nach Hause. Dort schlich sie heimlich in ihr Gemach, damit keiner der Dienstleute sie beobachten konnte, holte ihre schönsten Seidentücher aus der Truhe, wickelte das Jesuskind gut ein, legte es sorgsam in eine ihrer schönsten Kisten und sagte dazu: »Da magst du gut ruhen! Gibt mir deine Mutter den Sohn nicht zurück, dann werde ich dich auch nie wieder zurückbringen.«
    Maria aber, die vielgute, ging noch in derselben Nacht in den tiefen Kerker, wo der Sohn gefangen lag, löste ihm die Fesseln und die Halsschelle, schloß ihm die Türen auf und sagte:
    »Mein liebes Kind, nun kannst du frei und ohne allen Zwang zu deiner Mutter gehen. Sage ihr, daß ich dich hier ausgelöst habe, so daß du wieder mit ihr zusammenleben kannst, und sage ihr, sie solle mir nun auch mein Kind wieder bringen, das sie als Pfand für dich mit in euer Haus genommen hat.« Der Knappe eilte nach Hause und erzählte seiner Mutter alles, was er erlebt hatte. Da war ihre Freude groß, und sie schloß ihren Kasten auf, nahm das schöne Bild heraus, brachte unserer lieben Frau das Kind zurück und sprach: »Nun hat mein Herz wieder Ruhe. Lob und Dank sei dir gesagt für deine Hilfe und deinen Trost. Nie werde ich vergessen, dich zu preisen. Du hast meinem Sohn die Fesseln gelöst, und ich gebe dir dein Kind wieder frei.«

    Der heilige Nikolaus und der Dieb

    IN EINER KLEINEN RUSSISCHEN STADT lebte ein diebischer Mensch, der hatte schon viel Unglück angerichtet. Einmal hatte er einen reichen Mann bestohlen. Die Tat wurde schnell aufgedeckt. Er mußte fliehen. Lange lief er durch einen großen Wald. Durch das Dickicht konnten ihm die Häscher nur langsam folgen, und er gewann einen großen Vorsprung. Aber auch der größte Wald ist einmal zu Ende. Plötzlich stand er vor einem weiten Ödland. Bis zum nächsten Baum waren es
    mindestens zehn Werst. Da stand er nun und wußte nicht, was er machen sollte. Lief er über die unbebaute Fläche, dann war er weithin zu sehen, und die Verfolger hatten Pferde, sie würden ihn leicht fangen können. In seiner Not fing der Dieb an zu beten: »Herr Gott im Himmel! Sei meiner armen Seele gnädig! Heiliger Nikolaus, Väterchen, verstecke mich! Ich will dir auch eine Groschenkerze weihen!«
    Er hatte die Bitte kaum ausgesprochen, da stand ein alter Mann neben ihm und fragte: »Was hast du da gesagt?« Der Dieb antwortete: »Ich habe gebetet. Ich habe zum heiligen Nikolaus gesagt: Heiliger Nikolaus, Väterchen, verstecke mich! Ich will dir auch eine Groschenkerze weihen!« Dann beichtete er dem alten Mann seine Sünden und

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