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Das Hausbuch der Legenden

Das Hausbuch der Legenden

Titel: Das Hausbuch der Legenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Adolf Narciss
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– mit Ausnahme der Juden – den Vollzug eines Opfers vor den vom Staat anerkannten Göttern. Die
    Durchführung dieses Befehls wurde jedem durch ein »libellus«
    bescheinigt. So wurden auch in den Straßen und auf den Märkten von Ephesus Altäre errichtet, und wer vorbeikam, wurde genötigt, zu opfern. Wer Christen auffand, die das Opfer verweigerten, wurde belohnt. Wie in allen Zeiten politischer Drangsale kam es dazu, daß der Freund den Freund, der Sohn den Vater verriet. Trotzdem blieben viele ihrem Glauben treu, unter ihnen auch sieben junge Männer aus angesehenen Familien, die am Kaiserhof in Ephesus Dienst taten. Sie waren bereit, lieber zu sterben als zu opfern, wollten sich freilich auch nicht ohne Not den Folterknechten ausliefern und hielten sich deshalb still für sich, fasteten und beteten. Wie nicht anders zu erwarten war, wurden sie bald verraten. Der Kaiser zog sie vor seinen Richterstuhl, befahl ihnen persönlich, den heidnischen Göttern zu opfern, gab ihnen aber mit Rücksicht auf ihren Rang und ihre Jugend noch eine Gnadenfrist.
    Die sieben Männer benutzten diese Zeit dazu, ihr väterliches Erbe an die Armen zu verteilen und in eine Höhle zu fliehen, die hoch oben im Gebirge in den Berg Anchilus führte. Dort wollten sie sich mit Beten und Fasten auf ihr Martyrium vorbereiten. Diomedes, der jüngste von ihnen, ein besonders beherzter und schlauer Bursche, schlich sich von Zeit zu Zeit, als Bettler verkleidet, in die Stadt und brachte die notwendigsten Lebensmittel und neue Nachrichten. So kam er eines Tages und meldete, daß der Kaiser sie suchen lasse. Ihre Flucht habe ihn sehr erzürnt; er habe die Eltern mit dem Tod bedroht, wenn sie den Aufenthaltsort der Söhne nicht angäben.
    Die Eltern hätten die Söhne angeklagt, weil sie ihren Besitz veräußert hätten und spurlos verschwunden seien. Sie beteuerten, daß sie selbst nicht wüßten, wohin die Kinder geflohen seien. Man wisse nur, daß sie den Weg ins Gebirge genommen hätten. Diese unguten Nachrichten erschütterten die Sieben. Sie aßen ihr Brot mit Tränen, seufzten, beteten zu Gott und redeten bis tief in die Nacht miteinander. Schließlich waren sie alle müde vom Beten, vom Reden und von ihrer Trauer und sanken in einen tiefen Schlaf. Decius war erbost, daß er diese angesehenen jungen Männer nicht in die Hand bekam, um sich an ihnen zu rächen. Er befahl, das ganze Gebirge abzusuchen und den Eingang der Höhle für alle Fälle mit Steinen zu vermauern. Zwei Vertraute des Kaisers, die heimliche Christen waren, schrieben das Schicksal der unglücklichen Jünglinge auf Bleitafeln, die sie in eherne Kästen legten, versiegelten und mit einmauerten.
    Zweihundert Jahre später regierte der Kaiser Theodosius. Zu seiner Zeit kam eine Irrlehre auf, welche die Auferstehung der Toten leugnete. Selbst der fromme Kaiser wurde in diesen Streit verwickelt. Da beschloß der barmherzige Gott, der nicht will, daß die Frommen auf Irrwege geraten, ein Wunder zu tun, um allen das Geheimnis der Auferstehung zu offenbaren. Er gab dem Besitzer des Berges Anchilus ein, in die Höhlen Ställe für sein Vieh zu bauen. Seine Leute trugen die Mauer am Eingang ab, um Platz für den Neubau zu schaffen. Um diese Zeit erwachten die Heiligen in der Höhle zu neuem Leben. Ihre Kleider waren wie zuvor, und sie selber waren frisch und jung.
    Sie ahnten nicht, daß sie länger als eine Nacht geschlafen hatten, besprachen ihre schwierige Lage und beschlossen, Diomedes noch einmal in die Stadt zu schicken, um Brot und Nachrichten zu holen. Der Tag brach gerade an, als er aus der Höhle trat. Er stutzte, als er die Steine von der abgebrochenen Mauer sah, er war aber so befangen in seinen Sorgen und Ängsten, daß er nicht weiter darüber nachdachte. Er mußte ja ständig fürchten, erkannt und vor den Kaiser geführt zu werden. Als er an das Stadttor kam, sah er zu seinem Erstaunen ein Kreuz darauf. Er ging zum nächsten Tor und sah auch dort ein Kreuz. Er ging um die ganze Stadt und fand auf allen Toren Kreuze. Er konnte sich nicht erklären, wie das zuging, wie das Kreuz, das gestern noch verfolgt wurde, heute als weithin sichtbares Zeichen des Christentums auf den Toren stehen konnte. Auch die Menschen waren anders gekleidet, und er erkannte keinen einzigen von ihnen.
    Schließlich faßte er Mut und betrat die Stadt. Er fand die Häuser alle anders. Er hörte, wie die Menschen ihre
    Vereinbarungen im Namen Christi bekräftigten. Er wußte nicht mehr, ob er

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