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Das Hausbuch der Legenden

Das Hausbuch der Legenden

Titel: Das Hausbuch der Legenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Adolf Narciss
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»Warte nur, ich werde dir schon einheizen, wenn du endlich zu mir in die Hölle kommst!« Das machte die Bäuerin nachdenklich. Von nun an stellte sie immer zwei Kerzen auf und zündete beide Kerzen an. Als die Dorfleute sie fragten, warum sie den schönen alten Brauch geändert habe, antwortete sie: »Ach, ihr Lieben, wer von uns weiß denn, wo er schließlich einmal landet? Vielleicht im Paradies, vielleicht aber auch in der Hölle?«

    Der Ritter und der Tod

    EINST RITT ein kühner Ritter durch das weite Feld. Da begegnete ihm der Tod. Der Tod sah aus wie ein Löwe, war schrecklich anzuschauen, war grausam ausgestattet mit allen menschlichen Erfindungen; denn er trug Degen und Lanzen bei sich, Messer und Beile, Sicheln und Seile und viele andere Werkzeuge des Verderbens.
    Die fromme Seele des Ritters erschrak bis in ihren tiefsten Grund, und der Reitersmann sprach: »Wer bist du,
    Schrecklicher? Du siehst aus wie ein Tier und trägst dich wie ein Mensch!« Da antwortete der Tod: »Ich bin gekommen, dich zu holen!« Darauf sagte der Mann: »Das ist nicht mein Wille! Dich fürchte ich nicht!«
    Da fuhr der Tod auf und sprach: »O Menschlein, was
    unterfängst du dich, mich nicht zu fürchten! Könige, Fürsten und Heerführer zittern vor mir, sogar die geistlichen Würdenträger, denn ich bin wohlbekannt auf der weiten Erde –
    und du willst mich nicht fürchten?«
    Darauf erwiderte der Mann: »Ich bin tapfer und kühn. Ich habe ganze Heerscharen besiegt. Noch nie hat mir ein einzelner Mann standgehalten. Du aber kommst allein. Du trägst zwar Waffen und Rüstzeug – ich sehe aber jetzt, du bist gar nicht kühn, du bist nur schrecklich anzuschauen, hebe dich hinweg, ehe ich dich mit meinem Degen zusammenschlage!«
    Der Tod aber sagte: »Ich bin nicht stark, ich bin nicht gut und bin nicht schön, und doch habe ich alle Starken und Schönen, die Könige und Fürsten, Machthaber, Weiber und Mädchen von Adams Zeiten an bis jetzt besiegt. War der starke Simson nicht ein Held vor allen? Er sprach: ›Wäre ein Ring in die Erde gemauert, ich könnte die ganze Welt umdrehen!‹ Auch den habe ich genommen. Alexander der Große war stark und kühn, er war der Herrscher aller Reiche unter der Sonne – auch ihn habe ich geholt. O Mensch, war König Salomo nicht weiser als du? Und doch, auch der weise, schlaue König Salomo durfte mir nicht widersprechen. Selbst unser Herr Jesus Christus mußte mich verkosten, mich, den bitteren Tod! Wisse, o Mensch, ich bin der Tod. Ich sammle keinen Reichtum, ich bin weder schön noch gut, ich giere nicht nach irdischem Ruhm.
    Aber ich bin auch nicht barmherzig, ich verschone niemanden, ich warte niemals auch nur eine Stunde. Wenn ich komme, muß man mir folgen.«
    Da sprach der Mensch: »Herr, mein Tod, erweise mir allein deine Liebe und Barmherzigkeit!«
    Der Tod aber blieb bei seinen Worten und sagte:
    »Mitnichten, Mensch! Meine Liebe ist gleich für die ganze Welt! Ich liebe alle auf die gleiche Weise, Könige und Fürsten, Bettler und Prälaten. Wollte ich Reichtümer anhäufen, ich hätte ungezählte Güter, Ländereien und Königreiche – aber ich komme wie ein Räuber und nehme nur das Leben.«
    Da bat der Mann: »Herr Tod, warte nur ein wenig, nur ein kleines, bis ich gebeichtet habe!« Der Tod aber antwortete: »O
    Mensch! Gott sprach zu euch in seinen heiligen Schriften:
    ›Betet und wachet an jeglichem Tag und zu jeglicher Stunde; denn der Tod schickt euch keinen Boten und keinen Mahner, er kommt wie der Dieb in der Nacht!‹ Und in seinem heiligen Evangelium sagt der Herr: ›Wachet Brüder! Seiet des Todes immer gewärtig!‹ Wenn der Mensch wüßte, an welchem Tag und zu welcher Stunde der Tod kommen wird, der Mensch würde in jener Stunde in sich gehen und wachen und den Tod mit Schrecken erwarten.«
    Da rief der Mann: »O weh mir! Ich bin in argen Nöten!
    Verschone mich, Tod, bis zum Morgen, daß ich meine
    Geschäfte erledigen kann!« Der Tod aber erwiderte: »Ihr unvernünftigen Menschen! Viele flehen mich gleichermaßen an! Manches Mal gebietet mir der Herr, ihren Bitten zu willfahren. Gesunden sie aber, dann leben sie wieder, als seien sie dem Tod nie begegnet, als seien sie ihm nicht Untertan. Sie vergessen alle milden Taten. Auch du willst bis zum Morgen deine Sünden bereuen! Viele Morgenröten habe ich erlebt, aber nie, daß ihr ernsthaft bereut. Ihr häuft Sünden auf Sünden!
    Ich bin heute zu dir gekommen, und ich will nicht mehr warten, ich will mich mit

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