Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Hausbuch der Legenden

Das Hausbuch der Legenden

Titel: Das Hausbuch der Legenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Adolf Narciss
Vom Netzwerk:
ausgeführt?« Da erwiderte der Engel: »Herr, dieses Weib hat zwei winzige neugeborene Kinderchen! Wer soll sie ernähren, wenn ihnen die Mutter genommen wird?« Da nahm Gott einen Stab und klopfte mit ihm auf einen Felsen. Der Felsen spaltete sich in zwei große Stücke. Gott befahl dem Engel, in die Öffnung zu kriechen und ihm zu sagen, was er dort beobachten könne. Der Engel antwortete: »Ich sehe zwei winzige Würmchen.« Darauf sagte ihm der Herr: »Nun gut! Wer die zwei unscheinbaren
    Würmchen speist, wird auch die neugeborenen Zwillinge ernähren.« Mit diesen Worten nahm der Herr dem Engel die Schwingen ab und verbannte ihn zur Strafe für seinen Ungehorsam für drei Jahre auf die Erde.
    So kam der Engel nach Rußland und verdingte sich als Knecht bei einem Popen. Er lebte ein ganzes Jahr in einem kleinen Dorf, ein Jahr und noch ein Jahr. Einmal schickte ihn der Pope mit einem wichtigen Auftrag in die Stadt. Bei dieser Gelegenheit kam er an der Kirche vorbei. Die Türen standen weit offen. Plötzlich blieb der Knecht stehen, las Steine vom Boden auf und schleuderte sie in die Kirche, ja, er zielte genau auf das Kreuz, das mitten im Kirchenschiff hing. Als die Leute das sahen, liefen sie zusammen und beschimpften den Knecht.
    Nur mit Mühe entging er einer schweren Prügelei. Auf seinem weiteren Weg kam er an einer Kneipe vorbei. Dort blieb er stehen und begann zu beten. Jetzt schüttelten die Leute den Kopf und sagten zueinander: »So ein dummer Tölpel! Er wirft Steine in die Kirche und betet vor der Schenke! So einen Narren trifft man nicht alle Tage!« Der Knecht ließ sich aber nicht stören. Er sprach sein Gebet zu Ende und ging weiter. Da begegnete er einem Bettler. Sobald er ihn sah, verfluchte er ihn und nannte ihn einen üblen Müßiggänger und Schwindler.
    Diese Herzlosigkeit ärgerte die Leute wieder. Sie liefen zum Popen und beklagten sich über den seltsamen Knecht. Sie sagten: »So und so, dein Knecht geht durch die Straßen und treibt seine Possen! Er hat unser Heiligtum verhöhnt und den alten Bettler beschimpft. Vor der Kneipe aber hat er gebetet.«
    Daraufhin ließ der Pope den Knecht rufen und fragte ihn, was das alles bedeuten solle. Da antwortete ihm der Knecht: »Ich habe doch die Steine nicht geschleudert, um die Kirche zu treffen; noch weniger habe ich auf die Kneipe geblickt, als ich zu unserem Herrn und Gott betete. Wie ich an der Kirche vorbeiging, sah ich den Satan. Ermutigt durch unsere Sünden, schlich er mehrmals um das Gotteshaus, sprang über die Bänke auf das Kreuz und klammerte sich dort fest. Ich habe nach dem Bösen geworfen, um ihn zu vertreiben. In der Kneipe aber saßen viele von euren Leuten, um zu saufen und zu lumpen.
    Keiner dachte an die Stunde des Abschieds von dieser Welt.
    Da betete ich zu unserem Herrn und Gott und bat ihn, er möge nicht zulassen, daß rechtgläubige Christenmenschen der Trunksucht und damit der ewigen Verdammnis verfallen.« Der Pope fragte weiter: »Warum hast du dann aber den armen Bettler ohne jede Not beschimpft?« – »Das ist mir ein schöner Bettler!« rief der Knecht, »er ist ein reicher Mann mit einem Haufen Geld. Aber er schleicht immer noch als Bettler durch die Gassen und bittet um Almosen. Er nimmt doch nur denen das Brot weg, die wirklich arm sind!«
    Der Pope und seine Gemeinde wunderten sich sehr über diese Antworten. Bald darauf hatte der Engel seine drei Jahre abgedient. Als der Pope ihm seinen Lohn geben wollte, sagte der Knecht: »Ich danke dir. Ich nehme keinen Lohn. Ich bitte dich aber, mich zu begleiten, wenn ich jetzt dein Haus verlasse.« Das tat der Pope. Sie gingen weit, sie gingen endlos lange, das Dorf war schon seit Tagen nicht mehr zu sehen. Da gab der Herr seinem Engel die Schwingen zurück. Der Engel nahm den Popen an der Hand, hob sich mit ihm langsam von der Erde ab und flog in den Himmel zurück. Dort erst erfuhr der Pope, wer ihm drei Jahre lang als Knecht gedient hatte.

    Der heilige Georg und der Drache

    EINE BÄUERIN aus Nowoswinochowo, einem Dorf südlich des Ilmensees, stellte an jedem hohen Feiertag eine Kerze vor die Ikone des heiligen Georg und zündete sie an. Dem Drachen aber drohte sie mit der geballten Faust. Dazu sagte sie: »Hier, Georg, heiliger Ritter, hier hast du deine Kerze! Dir aber, verdammter Drache, gehört die Faust!«
    Das erbitterte den Teufel von Jahr zu Jahr mehr. Schließlich konnte er die Drohung nicht mehr ertragen. Er zeigte sich der Alten im Traum und sagte:

Weitere Kostenlose Bücher