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Das Hausbuch der Legenden

Das Hausbuch der Legenden

Titel: Das Hausbuch der Legenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Adolf Narciss
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wirklich in Ephesus war, und wollte schließlich so schnell wie möglich die Brote kaufen und wieder zu seinen Leidensgenossen zurückkehren. Als er aber im Bäckerladen bezahlen wollte, steckten die Leute die Köpfe zusammen und flüsterten miteinander. Sie gaben ihm das Brot nicht heraus und raunten ihm schließlich zu: »Du hast den Schatz der alten Könige gefunden! Teile ihn mit uns! Dann verraten wir dich nicht, dann liefern wir dich nicht dem Kaiser aus!« Diomedes wußte nicht, was er darauf antworten sollte. Da legten sie einen Strick um seinen Hals und schleppten ihn mitten durch die ganze Stadt zum Statthalter und zum Bischof. Die Menschen auf der Straße sahen ihm ins Gesicht und sagten: »Das ist ein Fremder, den wir nie gesehen haben.« Er suchte unter den zahllosen Leuten vergeblich nach einem Verwandten oder nach einem Freund. Der Bischof und der Statthalter
    betrachteten die Münze lange und fragten ihn nach dem Schatz. Diomedes antwortete ihnen: »Ich habe nie einen Schatz gefunden. Diese Münze nahm ich aus dem Säckel meiner Eltern. Seht doch selbst! Es ist eine Prägung dieser Stadt!« Der Statthalter fragte weiter: »Woher kommst du?«
    Diomedes erwiderte: »Aus dieser Stadt, wenn dies Ephesus ist.« – »Wer sind deine Eltern? Kennst du denn niemand, der für dich Zeugnis ablegen kann?« Diomedes nannte seine Eltern und seine Brüder. Aber niemand kannte sie. Da warf ihm der Statthalter vor, daß er lüge. Andere meinten, er sei verrückt, wieder andere, er verstelle sich nur. Da sagte der Statthalter:
    »Wie sollen wir dir glauben, daß dieses Geld aus dem Beutel deiner Eltern genommen ist? Die Münze ist über zweihundert Jahre alt. Sie stammt noch aus der Zeit vor Kaiser Decius. Du bist noch ein Jüngling. Wie sollen deine Eltern vor so langer Zeit gelebt haben? Wir lassen uns doch nicht von dir foppen!
    Gestehe, wo du den Schatz gefunden hast! Sonst muß ich dich ins Gefängnis werfen und foltern lassen.« Da fiel Diomedes auf sein Angesicht und sagte: »Ich werde Euch alles erzählen, was ich auf dem Herzen habe; aber sagt mir zuvor: wo ist Kaiser Decius, der noch gestern hier in dieser Stadt war?« Da antwortete der Bischof: »Mein Sohn, der Kaiser Decius hat vor weit mehr als hundert Jahren regiert. Was hast du mit diesem Kaiser?« Diese Antwort verwirrte Diomedes noch mehr. Er sagte: »Weh mir! Was ist meinem Verstand zugestoßen? Ihr glaubt mir nicht, und es führt zu nichts, wenn ich Euch widerspreche. Kommt mit mir in die Höhle auf dem Berg Anchilus. Dort werdet Ihr meine sechs Leidensgefährten finden. Vielleicht glaubt Ihr ihnen!« Da wurde der Bischof nachdenklich. Er ging auf den Vorschlag ein, und sie zogen mit dem Statthalter, dem Rat der Stadt und vielem Volk ins Gebirge. Diomedes führte sie in die Höhle. Als der Bischof die Höhle betrat, sah er unter dem Mauerschutt das eherne Kästchen mit den Silbersiegeln glänzen. Er hob es auf, öffnete es und las vor allem Volk laut vor, was auf den Bleitafeln stand. Nun begriffen alle, daß sie ein großes Wunder miterlebten. Sie fielen mit den heiligen Männern auf ihre Knie und lobten Gott. Der Bischof und der Statthalter schickten Eilboten an den Kaiser nach Konstantinopel und forderten ihn auf, nach Ephesus zu kommen, um selbst das Wunder dieser Auferstehung zu sehen. Der Kaiser kam mit großem Gefolge, und die Heiligen gingen ihm mit strahlendem Gesicht
    entgegen. Sie beteten zusammen, und der Kaiser rief: »Ich danke Gott, daß er mich in der Hoffnung auf die Auferstehung nicht getäuscht hat!« Der älteste der Sieben sagte darauf: »Wie das Kind im Schoß der Mutter lebt, ohne von sich selbst zu wissen, ohne Freude oder Leid zu empfinden, so haben auch wir im Schlaf gelegen.« Nach diesen Worten legten sich die sieben Jünglinge vor allem Volk auf die Erde und entschliefen zum zweiten Mal und schlafen nach Gottes Willen bis zum Jüngsten Tag.

    Das Muttergottesgläschen

    ES HATTE EINMAL ein Fuhrmann seinen Karren, der mit Wein schwer beladen war, festgefahren, so daß er ihn trotz aller Mühe nicht wieder losbringen konnte. Nun kam gerade die Mutter Gottes des Wegs daher, und als sie die Not des armen Mannes sah, sprach sie zu ihm: »Ich bin müde und durstig, gib mir ein Glas Wein, und ich will dir deinen Wagen frei machen.«
    »Gerne«, antwortete der Fuhrmann, »aber ich habe kein Glas, worin ich dir den Wein geben könnte.«
    Da brach die Mutter Gottes ein weißes Blümchen mit roten Streifen ab, das Feldwinde heißt

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