Das Hausbuch der Legenden
hinlegen und ruhen konnte. Als die Gemeinde müde wurde, erhob der Bischof seine Stimme zu einem Lied, dessen Worte ihm in dieser bedrängten Lage eingefallen waren, dem ersten Kirchenlied der Christen: dem ambrosianischen Abendlied.
Die ganze Gemeinde stimmte ein. Der gemeinsame Gesang gab ihr neue Kraft. Der Bischof fand neue Texte und neue Lieder, er übte sie mit den Seinen ein, er ließ die Männer und die Frauen und die Kinder abwechselnd singen, und brachte die Gläubigen auf diese Weise über zwei schwere Tage und zwei ebenso schwere Nächte. Am dritten Tag befahl die Kaiserinmutter, die Kirche zu stürmen. Als die Soldaten die großen Tore öffneten und vor der singenden Gemeinde
standen, wagten sie nicht, die Andacht zu stören. Sie beugten selbst die Knie und sangen mit. Die Kaiserin hatte den Kampf gegen den singenden Bischof verloren. Selbst der Kaiser konnte es nicht wagen, gegen die geschlossene Front der ganzen Stadt aufzutreten. Der arianische Bischof und die kleine Zahl seiner Anhänger blieben ohne eigene Kirche.
Die nächste schwere Auseinandersetzung mit dem
Kaiserhaus fand zur Zeit des Theodosius statt. Bei einem Aufstand in Mazedonien waren in Tessaloniki einige Männer des Kaisers umgekommen. In seinem Zorn befahl der Kaiser, alle Einwohner der Stadt, die schuldigen und die unschuldigen, zu töten. Siebentausend Menschen fanden auf diese Weise den Tod. Das Blutbad in Tessaloniki rief überall Entsetzen hervor.
Man hatte die ahnungslose Bevölkerung ins große Theater gelockt und dort niedergemacht. Ambrosius war als Bischof von Mailand Seelsorger des Kaisers. Er schrieb dem Kaiser einen ehrerbietigen, aber freimütigen Brief, in dem er strenge Buße verlangte. Er werde von ihm keine Opfergaben
annehmen, und er werde in seiner Gegenwart keine Messe lesen können, solange der Kaiser nicht wie alle anderen Schwerverbrecher öffentlich Buße tue. Mörder mußten damals in der Regel ihre Schuld ihr ganzes Leben lang öffentlich büßen. Der Kaiser unterwarf sich und tat öffentlich Buße. Als er den Bischof zum ersten Mal bat, ihn freizusprechen, erfüllte Ambrosius die Bitte nicht. Er rief ihm zu: »Hast du David nachgeahmt in der Sünde, dann ahme ihn auch nach in der Buße!« Einige Jahre später hielt Ambrosius dem Kaiser die Grabrede. Zwei Jahre später starb er selbst.
Basilius hält den Tod auf
BASILIUS WAR zuletzt Erzbischof von Caesara in Kapadozien.
In seiner letzten Krankheit ließ er sich von einem jüdischen Arzt behandeln, den er wegen seiner Rechtschaffenheit hoch schätzte und den er schon lange für das Christentum gewinnen wollte.
Am Nachlassen des Pulses konnte der Arzt feststellen, daß die letzte Stunde des Bischofs nicht mehr fern sei. Er bereitete daher die Angehörigen und Kleriker darauf vor, daß der Kranke nur noch wenige Stunden zu leben habe. Basilius hörte seine Rede, lächelte und sagte: »Mein Freund, diesmal hat deine Kunst dich betrogen.« Der Arzt antwortete: »Wollte Gott, daß du recht hast. Leider weiß ich aber nur zu gewiß, daß heute abend zwei Sonnen zugleich untergehen werden.«
Darauf fragte ihn Basilius: »Was würdest du sagen, wenn ich noch bis morgen lebe?« Der Arzt erwiderte: »Das ist nicht möglich!« Da rief der Bischof: »Und ich, lieber Freund, sage dir, daß ich bis zur sechsten Stunde des morgigen Tages leben werde.« Da antwortete der Arzt: »Wenn das geschieht, dann will ich auch des Todes sein!« – »Nicht doch! Nicht doch!«
sagte der Bischof, »nicht des Todes, sondern des Lebens in Christo!« Darauf sagte der Arzt zögernd: »Ich verstehe dich.
Also gut! Wenn du morgen um die sechste Stunde noch am Leben bist, will ich an Christus glauben.«
Der Arzt hatte recht. Bei einem normalen Verlauf der Krankheit hätte die Natur dem Kranken nur noch wenige Stunden gegeben. Gott aber erhielt ihm sein Leben nicht nur bis zur sechsten, er ließ es ihm bis zur neunten Stunde, damit er die Seele des rechtschaffenen Juden retten könne. Als der Jude das sah, wunderte er sich sehr und bekannte, daß Christus größer sei als die Natur. Basilius aber besiegte durch die Kraft des Geistes seine leibliche Schwachheit, stand vom Lager auf, ging mit seinem ganzen Klerus in die Kirche und taufte dort den Arzt mit seinen eigenen Händen. Dann zog er mit allen wieder in sein Haus, legte sich in sein Bett und gab fröhlich seinen Geist auf.
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