Das Hausbuch der Legenden
wohnte in einem Felsental im nordwestlichen Arabien und hatte sich seine Wohnungen in den Felsen gehauen. Petra nannten die Geographen später diese
Ruinenstadt, die zu Zeiten des Salech noch Hadscher hieß, die Steinerne, weshalb viele meinen, daß der Hedschas, die Berglandschaft am Roten Meer, von diesem Ort seinen Namen hat.
Wer mit einer Karawane von Syrien nach Mekka zieht,
kommt durch dieses eigenartige Tal mit seinen zahlreichen Grotten und Felsenwohnungen. Die Karawanenführer aber lassen den Neugierigen dort nicht verweilen, sie treiben vielmehr ihre Kamele an und beschleunigen ihre Schritte und erheben ein ohrenbetäubendes Geschrei, um die furchtbaren Wehrufe des Kamels nicht zu hören, das seit Salechs Zeiten in dieses Felsental verbannt ist.
Der Stamm Thamud nämlich glaubte nicht an den einen Gott, und der Vater des Salech war einer der ersten Diener ihrer Götzen. Als Salech darum als Nebi (als Prophet) auftrat, glaubten sie ihm nicht. Er predigte ihnen lange, aber sie verlachten ihn nur. Sie forderten von ihm ein Zeichen, einen Beweis für seine Sendung. Und als Salech sie fragte, was für ein Zeichen sie sich wünschten, da riefen sie ihm zu: »Wir begehren vom Herrn, daß der Fels sich spalte und daß eine Kamelin heraustrete, grün und gelb wie Smaragd, mit einem roten Schweif. Sie soll ein Junges führen, und beide sollen grasen und trinken. Dann, o Salech, wollen wir deinen Worten Glauben schenken!« Nebi Salech aber erwiderte ihnen: »Das ist dem Herrn nur ein Spiel! Aber ihr Ungläubigen werdet dem Herrn auch dann noch nicht glauben wollen; ihr werdet die Kamelin töten und den Zorn Gottes auf euch ziehen.« – Die Leute vom Stamme Thamud aber riefen: »Nein! Nein! Und nochmals nein! Wir werden sie nicht töten!«
Sie standen unter einem Felsen, zehnmal so hoch wie ein Speer. Der Prophet wandte sein Gesicht dem Herrn zu und betete inbrünstig. Plötzlich kreißte der Berg, wie wenn er in Geburtsnöten wäre, der Felsen spaltete sich, und ein Kamel, smaragden und mit einem roten Schweif, trat heraus und führte ein Junges. Beide weideten wie die anderen Kamele und gingen dann zur Tränke, zum einzigen Brunnen des Stammes Thamud. Als die Leute das sahen, glaubten sie an die Sendung des Nebi Salech und huldigten ihm und verehrten ihn, wie es einem Propheten gebührt.
Die beiden Kamele aber tranken so viel, daß mehrere Männer für sich und ihre Kamele kein Wasser mehr bekamen. Darüber entstand ein großes Geschrei. Salech sagte zu seinen Brüdern:
»Ihr habt es euch ja selbst gewünscht, das Kamel aus dem Felsen mit seinem Jungen. Ihr habt ja selbst verlangt, daß es trinken solle wie eure Kamele! Hütet euch nun, ihm etwas zuleide zu tun! Teilt das Wasser mit der Kamelin so, daß am ersten Tag ihr, am zweiten aber die Kamelin mit ihrem Jungen trinken können. Dann wird das Wasser für alle ausreichen.
Nochmals: hütet euch, Hand an die Kamelin zu legen! Der Herr würde euch vertilgen in seinem Zorn!«
Diese Drohung des Propheten erschreckte das Volk. Sie teilten von nun an das Wasser mit der Kamelin, an einem Tage trank das Volk aus dem Brunnen, am nächsten tranken die beiden Kamele. Dreißig lange Jahre hielten sie sich getreu an die Weisungen ihres Propheten. Nebi Salech aber prophezeite ihnen immer wieder, sie würden zuletzt doch die Kamelin töten und den Zorn des Herrn auf sich ziehen. Mag sein, daß sie die Untat ohne diese Prophezeiung schon früher begangen hätten; denn sie unterließen den Frevel nicht aus Furcht vor dem Herrn, sondern nur, weil sie seinen Gesandten Lügen strafen wollten. Es war ein hartes Volk, wie der Felsen, in den es sich eingegraben hatte, und der Prophet rechnete mit seinem Starrsinn. »Du bist ein Lügner!« sagten sie zu Salech. »Dreißig lange Jahre haben wir uns das Wasser von den Lippen
abgespart, um deine Kamele zu tränken. Dreißig Jahre lang weiden und trinken sie ungestört. Und du sprichst immer noch davon, daß wir sie töten und dem Strafgericht des Herrn verfallen werden!« Nebi Salech aber erwiderte: »O ihr Felsenherzen! Ihr Steinköpfe! Der Mörder der Kamele wird noch in diesem Jahr geboren.« Sie fragten: »Woran werden wir ihn erkennen?« Der Prophet antwortete: »An roten Haaren und Katzenaugen.« Da steckten die Leute die Köpfe zusammen und beschlossen heimlich, hinter dem Rücken des Propheten:
»Wir werden den Nebi Lügen strafen! Wir werden jedes neugeborene Kind aus der Welt räumen, das diese Zeichen trägt.«
Neun
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