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Das Hausbuch der Legenden

Das Hausbuch der Legenden

Titel: Das Hausbuch der Legenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Adolf Narciss
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Und Husain Ibn Mansur antwortete:
    »Er hat beiden Parteien verziehen: denen, die mit mir Mitleid hatten, und denen, die mir feindlich gesinnt waren: Er verzieh denen, die mit mir Mitleid hatten, weil sie mich kannten und weil sie Allahs wegen mit mir litten; und er verzieh denen, die mir feindlich gesinnt waren, weil sie mich nicht kannten und mir Allahs wegen Feind waren. So sind beide entschuldigt, und so haben beide Verdienst.«

    Der Taugenichts und die achtzig Frommen

    IM LANDE HORMUZ lebte Nachod. Er hatte einen Sohn, der schon mit dreizehn Jahren allen möglichen Sünden und Lastern ergeben war und unter anderem vor allem das Würfelspiel schätzte. Die Angehörigen und Verwandten schämten sich seiner. Da riet eines Tages einer von ihnen dem Vater Nachod, achtzig fromme Männer zu suchen, die ihr Leben als Hirten oder Einsiedler in der freien Natur verbracht hatten, und sie mit dem Sohn in ein Haus zu sperren. Diese Männer, so meinte er, müßten auf den jungen Burschen einen guten Einfluß ausüben und ihn mit der Zeit von seinem schlechten
    Lebenswandel abbringen. Gesagt, getan! Nachod suchte und fand achtzig fromme Männer. Er versprach ihnen tausend Belohnungen und Vorteile, wenn sie nur seinen Sohn auf die rechte Bahn brächten. Sie waren einverstanden, und Nachod sperrte sie zusammen mit seinem Sohn ein. Er ließ sie gut und reichlich verpflegen; Speise und Trank wurden von außen zugereicht. Um es kurz zu machen: Nach achtzig Tagen ließ Vater Nachod die Türen des Hauses öffnen. Er stand selbst vor dem Tor; denn er war begierig zu sehen, in welchem Zustand er die achtzig frommen Männer und seinen Sohn wiederfinden würde. Er wollte erfahren, welche Wirkung das
    Zusammenleben mit achtzig Frommen auf den Jüngling
    ausgeübt und ob der Sohn seine Lasterhaftigkeit aufgegeben hatte. Doch mußte er feststellen, daß die Frömmigkeit von achtzig Männern seinen Sohn nicht hatte beeindrucken können.
    Im Gegenteil: seine Lasterhaftigkeit hatte bewirkt, daß die achtzig Frommen nun ausnahmslos Sünder und Würfelspieler geworden waren.

    Ibrahim Ibn Edhem und die Biene

    DER KÖNIG von Baktrien, Ibrahim Ibn Edhem, der große Mystiker, ging einst während seiner Regierungszeit auf die Jagd. Er setzte sich auf freiem Feld zum Essen nieder. Bei dieser Gelegenheit beobachtete er eine Biene, die eine große Krume Brot vom Tisch nahm und damit davonflog. Der König fand dieses Verhalten so merkwürdig, daß er ihr folgte. Sie flog unter einen Baum und setzte sich dort nieder. Als Ibrahim Ibn Edhem näher kam, sah er einen Sperling unter dem Baum sitzen, der auf beiden Augen blind war. Sobald er das Summen der Biene hörte, sperrte er seinen Schnabel auf. Die Biene zerlegte das mitgebrachte Brot in drei Teile, die sie dem blinden Vogel nacheinander in den Schnabel steckte. Dann flog sie wieder fort. Als Ibrahim Ibn Edhem, der König von Baktrien, dieses wunderbare Wirken Gottes sah, entsagte er allen irdischen Freuden und Pflichten und widmete den Rest seines Lebens ganz dem Allwahren.

    Die Geschichte des Salih

    VOR ZEITEN lebte in der Stadt Balch ein Asket, der einen Sohn mit Namen Salih (der Fromme) hatte. Der Jüngling machte seinem Namen Ehre; er war fromm und versäumte keinen Augenblick im Dienste Gottes. Da ging der alte Asket ins Jenseits.
    Salih aber behielt seine fromme Lebensweise bei. Eines Tages bedachte er sich während seiner Gebetsübungen und sagte: »Ich diene Tag und Nacht dem Allwahren. Aber steht nicht geschrieben: ›Die Erkenntnis ohne die Werke ist wie ein Baum ohne Frucht‹? Meine Werke werden mir ohne die
    Erkenntnis keine Vorteile bringen. Ich muß einen gelehrten Meister finden, der mich die Erkenntnis lehrt.«
    Darauf ging er zu seiner Mutter, um ihre Erlaubnis
    einzuholen. Zu seiner Überraschung war sie nicht
    einverstanden. Da überlegte er: Meine Absicht ist doch gut?
    Warum soll ich mich also nicht ohne die Einwilligung meiner Mutter auf den Weg machen? Und er verließ seine Mutter heimlich und wanderte in eine Stadt, in der viele Weise wohnten. Auf der Reise fand er einen Baum, in dessen Schatten er rasten wollte. Plötzlich flog ein Vogel auf und beschmutzte ihn von oben bis unten. Das verdroß Salih sehr.
    Er warf einen zornigen Blick auf den Vogel; da fiel der Vogel tot vom Baum. Salihs Zorn legte sich, und er zog weiter. Erst am späten Abend fand er eine Herberge. Er trat ein und bat, ihn als Gast aufzunehmen. Eine Frau begrüßte ihn und sagte: »Gut, du kannst hier

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