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Das Hausbuch der Legenden

Das Hausbuch der Legenden

Titel: Das Hausbuch der Legenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Adolf Narciss
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und nicht dem König den Hof machen. Salomo war erstaunt über diese neue Moral. Er war aber auch in größter Verlegenheit, weil er seine Waren nicht mehr absetzen und keine Lebensmittel mehr kaufen konnte. Er schickte seinen Hofmarschall, der zu den wenigen gehörte, die ihm treu geblieben waren, zum reichsten Juden von Malatia und bot ihm seine Waren für ein Spottgeld an. Der Marschall ging, kam aber unverrichteter Dinge zurück; auch der Jude hatte sich bekehrt und wollte nichts mehr von Handel und Wandel wissen. Er beantwortete die Angebote des Königs mit frommen Sprüchen. »Wenn es so ist«, sagte Salomo, »dann werde auch ich Einsiedler. Ich werde mein Leben in der Wüste beschließen.« Die Regierungsgeschäfte hatten ohnehin aufgehört; denn seit der Einkerkerung des Iblis lebte die ganze Welt in Eintracht und Frieden, es gab keine Händel mehr zu schlichten. Dem sonst mit tausend Pflichten und Vorhaben beschäftigten Salomo wurde die Zeit bald lang. Er ging durch Malatia spazieren. Aber er begegnete in der Stadt keiner Menschen-, keiner Hunde- und keiner Vogelseele. Die
    Gewölbe waren versperrt, die Fenster geschlossen. Alle verrichteten ihre Andacht. Salomo ging eine Zeitlang herum, wurde davon aber nicht satt. Er hatte nun schon elf Tage nichts gegessen.
    Am zwölften Tag kamen die stillenden Mütter aus der Stadt zu ihm und baten um Hilfe; denn die Milch in ihren Brüsten war vertrocknet, und die Kinder konnten nicht mehr trinken.
    Um der Hungersnot wenigstens einigermaßen zu steuern, befahl Salomo dem Wind, alle Datteln der frei stehenden Palmbäume, die niemandes Eigentum waren, abzuschütteln und über die Stadt zu wehen. Der Wind gehorchte, und bald regnete es Datteln. Die Mütter bekamen wieder Milch und konnten ihre Kinder stillen, und Salomo mußte sich fürs erste nicht mehr um Nahrung für sein Volk kümmern. So ging es siebenmal sieben Tage. Am fünfzigsten Tag erschien der Prophet Cisr an den Stufen des Thrones. Er pries Salomos Sieg über Iblis, gab aber zu bedenken, daß seit der Einkerkerung des Verfluchten die ganze Welt in Untätigkeit versunken sei. Denn nur die Freiheit des Verfluchten unterhalte das Spiel der Leidenschaften und den der menschlichen Gesellschaft nun einmal unentbehrlichen Umtrieb. Der gläubige und fromme König aber konnte sich diese Überzeugung des Propheten nicht zu eigen machen. Er ließ den Erzengel Gabriel kommen. Der aber gab dem Propheten recht. Da entschied Salomo, daß Iblis durch Züchtigungen zur Erkenntnis seiner teuflischen Bosheit gebracht und dann freigelassen werden solle.
    Aber alle Foltern und Qualen blieben bei Iblis wirkungslos.
    Schließlich bat Salomo den Herrn, den Verfluchten
    nachhaltiger zu züchtigen, als dies ein kleiner Prophet könne.
    Er bat ihn, dem Verfluchten zur Strafe für seine Empörung das rechte Auge auszuschlagen. Seitdem ist der Teufel einäugig.
    So wenigstens erzählen spätere Gelehrte die Geschichte. Der weise Lokman aber behauptet, Iblis habe das Auge schon beim Opfer Abrahams verloren. Damals habe Ismail ihn mit einem Stein getroffen. Salomo gab zuletzt den eindringlichen Vorstellungen des Erzengels Gabriel nach. Er ließ den Verfluchten unter der Bedingung frei, daß er sich jedes Jahr einen Monat lang als Gefangener des Königs in den Kerker begebe. Dieser Monat ist der Fastenmonat Ramadan. Weil Satan eingesperrt ist, stocken in diesem Monat alle Geschäfte, und die Gläubigen widmen sich allein dem Fasten und dem Gebet.

    Salomo und der Eremit

    NACH DER ÜBERLIEFERUNG stand die Lieblingsresidenz Salomos in Tadmor. Ehe er sich dort niederließ, besuchte er mit dem weisen Lokman die Paläste und die Tempel der Stadt.
    Vor dem Eingang zum Feuertempel lag eine Sphinx, die zur Verwunderung Salomos unauslöschliches Feuer spie. Lokman aber wußte, daß dies nur eine Gaukelei der Priester mit Naphta war, das sich mit Wasser nicht löschen läßt. Er löschte die Flammen mit Wein.
    In der Nähe des Feuertempels wohnte ein frommer Eremit, der durch seine Heiligkeit berühmt war. Salomo wollte ihm mit seinem ganzen Hof einen Besuch abstatten; denn es ist von jeher Sitte gewesen, daß große Könige fromme Einsiedler besuchen. Sie kommen dadurch selbst in den Geruch der Heiligkeit, der ihren Staatsgeschäften noch immer nützlich war. Die Reittiere wurden vorgeführt. Salomo bestieg das Pferd Isaaks, die Heiligen und Propheten setzten sich auf weiße Maulesel, die Könige ritten arabische Hengste und die Dschinnen ihre

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