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Das Hausbuch der Legenden

Das Hausbuch der Legenden

Titel: Das Hausbuch der Legenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Adolf Narciss
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Hippogryphen mit Kamelfüßen,
    Rhinozerosnacken, Löwenbrust und Greifenflügeln.
    Als sie angelangt waren, fragte Salomo den Einsiedler, warum er sich keine Zelle gebaut habe, sondern in einer Höhle wohne. Da antwortete der Eremit: »Als ich hierher kam, wollte ich mir ein Haus bauen. Ich fing also an, die Steine aufzulesen, die verstreut auf den Feldern lagen. Aber die Steine sprachen:
    ›Laß uns liegen; wir deckten einst als Grabsteine die Toten!
    Suche dir einen anderen Baustoff, der noch keinen Herrn hat.‹
    Da wollte ich Bäume fällen, um mir wenigstens eine Hütte zu bauen. Aber die Bäume sprachen: ›Laß uns stehen! Der Saft, der durch unser Mark zieht, ist geläutertes Menschenblut und geläutertes Menschenmark, das wir aufgesogen haben. Auch wir gehören schon den vergangenen Geschlechtern an.‹ Da nahm ich meine Zuflucht zur Erde selbst. Ich wollte mit meinen Händen Lehm und Staub sammeln und mir daraus ein Haus bauen. Aber ich mochte die Erde berühren, wo ich wollte, immer sprach sie zu mir: ›Laß mich ruhen! Ich bin Staub aus Staub und gehöre den Toten.‹ Ich fand keinen Stein auf Erden, der nicht schon ein Grab gedeckt hätte, keine Pflanze, die nicht ihre Nahrung aus der verfallenen Kraft der Menschen gezogen hätte, kein Stäubchen, das nicht schon in einem beseelten Körper gelebt hätte. Die Erde ist nichts als die weite Werkstatt des Todes. Nichts gehört der Gegenwart, alles gehört der Vergangenheit. Deshalb baute ich nicht, sondern zog mich in diese Felsenhöhle zurück.« Der große König Salomo hörte sich die Worte des Eremiten still an. Er antwortete ihm nicht. Aber dann befahl er den Dschinnen, den Bau der Stadt Tadmor fortzuführen.

    Tobias und Sarah

    DER VATER des Tobias erzählt: Ich, Tobit, folgte den Wegen der Wahrheit und der Gerechtigkeit alle Tage meines Lebens, ich war barmherzig zu meinen Brüdern, die mit mir in Ninive gefangen waren, und ich hielt mich auch dort, unter den Heiden, an die Gesetze meines Gottes. Der Herr aber verlieh mir Anmut und schöne Gestalt, und König Enemessar machte mich zu seinem Einkäufer. Ich reiste für ihn nach Medien und hinterlegte zehn Talente Silber bei Gabael, dem Bruder des Gabrias. Als aber Enemessar starb, kam sein Sohn Sennachorin auf den Thron. Nun wurden die Wege unsicher; denn er führte viele Kriege, und ich kam nicht mehr nach Medien. Der junge König aber tötete viele der Unseren in seinem Zorn. Wenn sie gestorben waren, wurden sie hinter die Mauer von Ninive geworfen. Ich aber begrub sie heimlich, und wenn der König die Leichname suchen ließ, fand man sie nicht. Eines Tages zeigte einer der Niniviten an, daß ich es sei, der sie begrabe.
    Ich verbarg mich. Als ich aber hörte, daß man auch mich töten wolle, floh ich. Dabei verlor ich all meinen Besitz, mir blieben nur Anna, mein Weib, und Tobias, mein Sohn. Es vergingen aber keine fünfzig Tage, da wurde der König von seinen beiden Söhnen ermordet. Der neue König aber setzte den Sohn meines Bruders als Zweiten in seinem Reiche ein. Er bat für mich, und ich konnte nach Ninive zurückkehren.
    Als ich wieder in meinem Haus war, richtete ich am Fest der Erstlinge ein schönes Mahl und setzte mich mit Anna und Tobias nieder, um zu essen. Beim Anblick der vielen Speisen dachte ich an die Notleidenden und schickte meinen Sohn auf die Straße, um einen Bedürftigen an unseren Tisch zu laden. Er kam ohne Gast zurück und sprach: »Vater, einer aus unserem Volk liegt erdrosselt auf dem Markt!« Da stand ich noch vor dem Mahl auf und verbarg den Leichnam in einem Gebäude, bis die Sonne untergegangen war. Als es Nacht war, grub ich ein Grab und bestattete ihn. In dieser Nacht schlief ich nicht im Haus, sondern neben der Hofmauer, mit unbedecktem Gesicht; denn ich war unrein. Ich wußte nicht, daß Sperlinge in der Mauer waren. Sie schmeißten heiß in meine offenen Augen, so daß weiße Flecken entstanden und ich nichts mehr sah. Kein Arzt konnte mir helfen. Mein Neffe sorgte für unseren Unterhalt, bis er von Ninive wegzog, und mein Weib Anna wob Wolle in ihren Frauengemächern und verkaufte sie gegen guten Lohn. Eines Tages bekam sie zu ihrem Lohn ein
    Böckchen geschenkt. Als sie es brachte, fragte ich sie: »Woher ist das Böckchen? Es ist doch nicht gestohlen? Es ist uns verboten, Gestohlenes zu essen!« Anna antwortete, daß es ihr geschenkt worden sei, ich glaubte ihr aber nicht. Ich wurde zornig und befahl, es den Herren zurückzugeben. Da sagte Anna: »Tobit,

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