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Das Hausbuch der Legenden

Das Hausbuch der Legenden

Titel: Das Hausbuch der Legenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Adolf Narciss
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eingehen.«
    Salomo wollte seine Entscheidung nicht überstürzen. Des Spruches eingedenk »Sicher geht – wer sich berät«, versammelte er alle seine Weisen um sich und hielt mit ihnen Rat. Alle aber, die an dieser Versammlung teilnahmen, wollten ihn überreden, das Wasser zu trinken; alle erfüllte der Wunsch nach ewigem Leben. Salomo beriet sich dann auch mit den Tieren und mit dem ganzen Geschlecht der Vögel. Aber auch unter ihnen war keiner, der nicht zum Trinken ermutigt hätte.
    Nur der Charpuscht machte eine Ausnahme, das Tier, das man hierzulande Igel nennt. Er trat vor, legte seine Stirn auf den Boden und sagte, nachdem er durch Lob- und Segenssprüche den Pflichten der Etikette genügt hatte: »O Salomo, freilich sagt man, daß der Widerspruch gegen alle aus der Macht des Irrtums stammt; indessen ist mir in aller Demut in betreff der vorliegenden Frage ein Gedanke gekommen, den ich, wenn du gnädig erlaubst, dir vortragen möchte.« Ihm antwortete Salomo: »O Charpuscht, dies hier ist eine Ratsversammlung, vornehm und gemein – groß und klein – arm und reich – ist hier alles gleich! Vom Widerspruch ist aber nicht die Rede, denn alles, was man über diese Sache sagen kann, ist heilbringend und segens voll. Drum laß hören!« – »Mein König«, sprach darauf der Igel, »ist das durch die Gnade des Allerbarmenden dir zuteil gewordene Lebenswasser außer für dich auch für deine Kinder, deine Verwandten und deine weisen Genossen bestimmt? Oder darfst du, großer Prophet, dich allein seiner bedienen? Wenn das Wasser dir in
    Gemeinschaft mit deiner Familie und deinem heiligen Gefolge verliehen ist, so daß alle mit dir leben bleiben, so lange Gott will, dann ist es etwas Vortreffliches, dann trinke und gewinne die Seligkeit des ewigen Lebens. Ist es dagegen nur für dich bestimmt, dann halte ich’s nicht für klug, davon zu trinken.
    Denn ich zweifle nicht, wenn du sähest, wie von deinem Hause und deiner Verwandtschaft – deiner Sippschaft und
    Bekanntschaft – und von deinen Genossen – den edlen, großen
    – bei diesem Festmahl heute dieser und morgen jener
    Lebensbecher vollgegossen – so daß sie, einer nach dem andern in das Reich des Jenseits würden wandern – da würde dir jede neue Trennung eine herbe Pein – ein Anlaß zu tiefer Betrübnis sein! – Dieser Brand – würde durch langen Lebens Lust nicht abgewandt – und wäre einmal verflogen – dieses Weines Rausch, und verzogen – da würde durch des Genusses Süßigkeit – die leere Nüchternheit – nicht aufgewogen.« Also beschloß der Igel seine Rede. Salomo aber antwortete ihm: »O
    Charpuscht, dieses Lebenswasser zu trinken, war nur mir verstattet, keinem anderen. Deine Rede ist wahr – alle deine Worte sind wohlratend, lauter und klar – deiner Einsicht und Klugheit sei Heil! – der Vorzug der Weisheit war hier dir zu teil! – Wie du geraten, so werde ich tun.« – Also sprach Sa lomo und trank das Lebenswasser nicht.

    Der entfesselte Iblis

    SÜLEIMAN, DEN wir Salomo nennen, war Prophet und König zugleich wie sein Vater David. Er war der größte
    Weltbeherrscher, den die Geschichte kennt. Ihm waren nicht nur die Menschen und die Tiere Untertan, sondern auch die aus Feuer geschaffenen Dschinnen und die zarten und lieblichen Peris.
    Er war der Herr und Meister der Körper und der Geister.
    Er hatte die Dschinnen durch einen feierlichen Vertrag gebunden, ihm Gehorsam und Gefolgschaft zu leisten. Mit ihnen zusammen führte er einen erbitterten Krieg gegen die Heere der Diwen und der anderen Verfluchten, die alle dem Iblis dienten, dem Anführer der gefallenen Engel. Salomo aber wollte auch Iblis in seine Gewalt bringen. Die Heere des Verfluchten hatte er geschlagen. Seine Hilfsvölker spürten jeden einzelnen Diw auf und kerkerten ihn ein. Die einen wurden in Weinschläuche, die anderen in Flaschen, die dritten in eherne Töpfe gesperrt.

    Salomo versiegelte sie mit eigener Hand; die besonders gefährlichen klemmte er in gespaltene Bäume, oder er ließ sie in hohle Steine nieten, die mit Blei ausgegossen wurden.
    Assaf, der weise Wesir, nahm einen nach dem anderen ins Verhör. Er wollte zum Beispiel wissen, mit welchen Künsten und Listen sie einst die Söhne und Töchter Adams verführt hätten, eine Kenntnis, die für Wesire, wenn nicht gerade notwendig, so doch nützlich ist. Die Verruchtesten der Diwen versuchten bei dieser Gelegenheit ihre Kunst an Assaf selbst, sie wollten ihn überlisten und auf diese

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