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Das Hausbuch der Legenden

Das Hausbuch der Legenden

Titel: Das Hausbuch der Legenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Adolf Narciss
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hast du mit den Edelsteinen vor, für die ich dir vor langer Zeit fünfhundert Goldstücke gegeben habe?« Makarius antwortete:
    »Die Steine habe ich längst gekauft. Ich habe sie im Spital liegen. Komm mit und sieh sie dir an. Sollten sie dir nicht gefallen, mußt du dein Gold wieder zurücknehmen.« Sie ging mit; denn sie war nun sehr neugierig auf die seltenen Steine.
    Im oberen Stockwerk des Spitals lagen die Weiber; die Männer lagen unten. Ehe sie durch das Tor gingen, fragte Makarius: »Was willst du zuerst sehen? Die Smaragde oder die Hyazinthen?« Sie sagte: »Ganz nach deinem Belieben.«
    Daraufhin führte er sie zuerst in den oberen Stock und zeigte ihr Frauen mit verstümmelten Händen oder Füßen, mit
    zerfressenen Gesichtern oder anderen schweren Krankheiten.
    Sie sah die Krüppel mit Erstaunen und Widerwillen an.
    Makarius aber sagte nur: »Das sind die Hyazinthen.« Dann ging er mit ihr die Treppe hinunter und zeigte ihr die Männer, die »Smaragde«. Er sagte: »Wenn sie dir nicht gefallen, nimm dein Gold zurück!« Sie antwortete ihm nicht. Aber sie nahm die Lehre an und bereute, daß sie ihr Geld nicht aus freien Stücken für diese Armen gegeben hatte.

    Eulogius und der Krüppel

    ALS MAKARIUS noch jung war und am Berg des heiligen Antonius lebte, kam eines Tages der Mönch Eulogius aus Alexandrien mit einem Krüppel, um den ehrwürdigen Abt um seinen Rat zu bitten. Eulogius war von Haus aus ein freier Mann, der die sieben Künste beherrschte, trat dann zum Christentum über, verschenkte sein Hab und Gut und suchte nun eine Lebensaufgabe, die zugleich Gottesdienst sein sollte.
    Da fand er auf dem Marktplatz einen Krüppel, der weder Arme noch Beine hatte und die Vorübergehenden nur anreden und betteln konnte. Er stand lange vor dem armseligen Menschen und beobachtete ihn. Schließlich schloß er im Gebet mit Gott diesen Vertrag: »Herr, um Deinetwillen nehme ich diesen Krüppel an und pflege ihn, bis er stirbt, damit auch ich durch ihn das ewige Heil erlange. Gib mir Geduld, ihm zu dienen!«
    Dann redete er den Krüppel an: »Wenn es dir recht ist, mein Herr, dann will ich dich in mein Haus nehmen und dich pflegen.« Der Krüppel war erstaunt und überrascht, aber er antwortete schnell: »Von Herzen gern.« Eulogius holte einen Esel, lud den Bewegungslosen auf, brachte ihn in sein bescheidenes Heim und pflegte ihn viele Jahre mit aller Sorgfalt. Nach fünfzehn Jahren wurde der Krüppel krank. Der Mönch tat alles, was man für einen Kranken tun kann: er wusch und badete ihn eigenhändig und gab ihm gutes Essen.
    Die Krankheit aber veränderte den Krüppel. Er wurde
    widerwärtig, lästerte und beschimpfte seinen Pfleger auf die unflätigste Weise. Er rief: »Pack dich, du Bösewicht! Wo hast du denn das Geld gestohlen, von dem wir leben? Durch mich willst du dein Heil erzwingen, du Dieb? Bring mich wieder auf den Marktplatz! Fleisch will ich haben!« Eulogius gab ihm Fleisch. Aber der Kranke war damit nicht zufrieden. Er schrie:
    »Ich habe dies langweilige Leben satt! Ich muß Leute sehen!
    Auf den Marktplatz will ich! Warum hältst du mich hier gefangen? Wirf mich wieder dahin, wo du mich gefunden hast!« Hätte er Hände gehabt, dann hätte er sich selbst das Leben genommen. Eulogius war ratlos. Er fragte Asketen, die vor der Stadt wohnten: »Was soll ich nur tun? Der Krüppel treibt mich zur Verzweiflung! Ich kann ihn doch nicht einfach wieder auf die Straße setzen! Ich habe Gott versprochen, ihn bis zu seinem Lebensende zu pflegen. Und nun verleidet er mir das Leben. Ich weiß mir keinen Rat mehr!« Die Asketen antworteten: »Noch lebt der große Antonius. Ihn mußt du aufsuchen! Lege den Krüppel in ein Boot und segle mit ihm bis zum Kloster Pispir! Dort mußt du warten, bis Antonius aus der Wüste kommt. Er wird dir einen Weg zeigen. Durch ihn redet Gott.« Eulogius befolgte diesen Rat und war schon wenige Tage später im Kloster Pispir.
    Er mußte nicht lange warten. Schon am Abend nach seiner Ankunft kam der Große ins Kloster und rief: »Bruder
    Makarius, sind Brüder gekommen?« Makarius antwortete:
    »Ja.« Da fragte Antonius weiter: »Sind es Ägypter oder Leute aus Jerusalem?« Antonius nannte die weniger frommen Pilger Ägypter, die frommen aber Leute aus Jerusalem. Die Ägypter bekamen ein Linsenmus, und dann betete der Heilige kurz mit ihnen; mit den Leuten aus Jerusalem aber saß er oft die ganze Nacht zusammen und redete und betete mit ihnen. Makarius antwortete diesmal:

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