Das Hausbuch der Legenden
als ob sie verrückt, als ob sie besessen wäre. Die übrigen Frauen, die nicht wußten, daß sie diese Last freiwillig auf sich genommen hatte, verabscheuten sie deshalb, sie wollten nicht mit ihr zusammen arbeiten oder beten. So kam es, daß sie den ganzen Tag in der Küche war und dort wie das Aschenbrödel nur die minderen Arbeiten tat. Sie war der Putzlumpen des Klosters und erfüllte damit doch nur das Wort des ersten
Korintherbriefes: »Dünkt sich jemand unter euch, weise zu sein, der mag ein Tor werden, damit er weise werde!«
Während die anderen ihre geschorenen Köpfe unter Kapuzen verbargen, band sie nur einen alten Stoffetzen um ihre Stirn, der immer verrutschte. Sie arbeitete als Magd der vierhundert Frauen, die sie in vielen Jahren niemals essen sahen; denn sie setzte sich nie zu Tisch, sie aß nicht das kleinste Stückchen Brot, sie begnügte sich mit den Resten, die sie beim Abspülen in den Geschirren der anderen fand. Sie wurde von allen beschimpft, von vielen geschlagen, verwünscht und beleidigt, aber sie murrte nie, sie klagte nicht und war auch nie gekränkt.
Zur selben Zeit lebte im Porphyrgebirge der heilige Einsiedler Piterum, den viele als ihr Vorbild verehrten. Ihm erschien eines Tages im Traum ein Engel und sagte: »Du bist sehr stolz auf deine Frömmigkeit und auf dein Leben in dieser einsamen wüsten Gegend! Mach dich auf und geh in das Frauenkloster der Mönche von Tabennä! Dort wirst du ein Weib finden, das frömmer ist als du. Du wirst sie an einem Lumpen erkennen, den sie um den Kopf gewunden hat. Sie ist besser als du; denn sie erfährt von allen Seiten Böses, sie lebt inmitten vieler Schwestern wie eine Verstoßene, und sie ist trotzdem ihrem Glauben treu geblieben, sie hat sich nie von Gott abgewandt.
Du aber sitzest hier in deiner Zelle, und deine Gedanken sind nicht hier und nicht bei Gott, sondern irgendwo in einer der vielen Städte.« Piterum hatte seine Klause noch nie verlassen.
Die harte Rede des Engels aber trieb ihn durch die Wüste nach Tabennä.
Er bat die älteste der Schwestern, ihn eintreten zu lassen. Und weil er damals schon fast wie ein Heiliger verehrt wurde und zudem sehr alt war, ließ man ihn ein und stellte ihm alle Schwestern vor. Er grüßte alle, sah sich gründlich um und sagte dann: »Ich möchte gerne alle Schwestern kennenlernen; aber hier sind nicht alle.« Die Älteste antwortete ihm: »Wir haben nur noch eine, die ist draußen in der Küche. Wir haben sie nicht vorgestellt, denn sie ist närrisch.«
Darauf bat Piterum: »Führt sie herein, ich möchte sie sehen!«
Da gingen einige hinaus und sagten ihr, daß sie kommen solle; sie weigerte sich jedoch. Vielleicht ahnte sie, daß nun ihr Geheimnis verraten würde. Da zogen sie die anderen mit Gewalt hinaus und sagten: »Der heilige Piterum will dich sehen. Dem kannst du dich nicht entziehen!« Als der heilige Einsiedler den Lumpen um ihren Kopf erblickte, fiel er ihr zu Füßen und bat sie: »Segne mich!« Die närrische Schwester aber fiel vor ihm nieder und rief: »Segne du mich, Herr!« Die anderen Frauen wunderten sich alle und sagten zu dem Klausner: »Vater, laß dich doch nicht zum besten halten! Sie ist doch närrisch!« Darauf erhob sich der greise Mönch und sagte ernst: »Ihr seid närrisch, nicht eure Schwester! Sie ist meine und eure Mutter, sie ist unser Vorbild im Dienste des Herrn, und ich wünschte nur, ihrer würdig zu sein am Tage des Jüngsten Gerichts!«
Als sie das hörten, fielen alle vor der verabscheuten Schwester auf die Knie, und eine jede gestand ein anderes Vergehen: viele hatten sie geschlagen, so daß sie nie ohne blaue Flecke war; eine hatte sie mit Spülwasser begossen; eine andere hatte ihr die Nase mit Senf verschmiert, kurz, es war keine, die nicht ihren Übermut an der demütigen und geduldigen Mitschwester ausgelassen hatte. Alle baten um Verzeihung. Die Schwester aber, deren Geheimnis nun offen vor allen lag, wollte kein Lob und keine reumütigen Abbitten hören, ihr ging es nicht um Ehre und Ruhm. Sie verschwand wenige Tage später aus dem Kloster, und niemand weiß, wohin sie gegangen und wo sie gestorben ist; ja, nicht einmal ihr Name ist überliefert.
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