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Das Hausbuch der Legenden

Das Hausbuch der Legenden

Titel: Das Hausbuch der Legenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Adolf Narciss
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ging er in seine Zelle, nahm den Mantel des Athanasius und eilte, ohne auszuruhen, ohne sich mit Speise und Trank zu erquicken, wieder in die Wüste. Er schleppte seinen müden Körper, so schnell er konnte, über den langen, beschwerlichen Weg in die Berge, denn er hatte Angst, den heiligen Paulus nicht mehr lebend anzutreffen. Am Morgen des zweiten Tages zog ein heller Glanz über den Himmel, und er sah, wie die Engel des Herrn die Seele des heiligen Paulus in den Himmel holten. Da fiel er auf sein Angesicht, weinte und klagte: »O
    mein Paulus, warum verläßt du mich, warum gehst du, ohne mir noch einmal Lebewohl zu sagen?« In der Höhle fand er den Toten, kniend, die Hände betend zum Himmel erhoben.
    Mit äußerster Anstrengung trug er den Leichnam vor die Tür und stand ratlos, denn er wußte nicht, wie er mit seinen schwachen Kräften eine Grube ausheben sollte. Da kamen zwei Löwen aus der Wildnis und scharrten mit ihren
    mächtigen Pranken so lange die Erde auf, bis es möglich war, den Heiligen zu beerdigen. Dann verschwanden sie wieder in der Wüste. Antonius aber legte den Leichnam in die Grube, nahm den Mantel, den Paulus sich aus Palmblättern geflochten hatte und kehrte in sein Kloster zurück. Den Mantel trug er an allen hohen Festen.
    Antonius wurde hundertundfünf Jahre alt. Davon lebte er fünfundachtzig Jahre im Dienst des Herrn, als einsamer Klausner, in einer alten Grabstätte, immer wieder hin- und hergerissen von den Leidenschaften, die ihn in Gestalt von wilden Tieren und Dämonen überfielen. Als Maximian die Christen verfolgte, verließ Antonius die Wildnis und ging nach Alexandrien, um den Bekennern beizustehen. Ihm selbst aber wurde die Märtyrerkrone versagt. Traurig kehrte er wieder in die Wüste zurück und lernte dort, Gebet und Arbeit und Stunden der Freude nach Gebühr zu verteilen. Er nahm sich in strenge Zucht, aber er wußte nun, seine Kräfte mit Vernunft zu brauchen, er wußte, sich mit Vernunft zu enthalten. Er erfuhr, daß es besser ist, mit Vernunft Wein zu trinken als mit Hochmut Wasser. »Betrachte die heiligen Männer, die mit Vernunft Wein tranken, und betrachte die Weltleute, die ohne Vernunft Wasser tranken. Dann wirst du nicht mehr Speise und Trank tadeln oder loben, sondern die Gesinnung derer, die beide gut oder schlecht gebrauchen! Joseph trank Wein bei den Ägyptern und litt keinen Schaden. Pythagoras, Diogenes und Plato dagegen tranken Wasser, aber sie kannten Gott nicht und beteten Götzenbilder an.« Essen und Enthaltsamkeit sind nichts. Nur der Glaube gilt, der durch die Liebe sich in Werken offenbart. Niemand, der ißt und trinkt verfällt dem Gericht, wenn der Glaube jede seiner Handlungen begleitet; denn »was nur immer aus dem Glauben stammt, ist ohne Sünde« (Rom.
    14,23). Antonius lebte zuletzt auf dem Berge Kolzin, von wo es nicht weit zum Roten Meer ist. Er floh dorthin vor der großen Zahl der Schüler, die in ihm ein heiliges Vorbild sahen.
    Aber sie folgten ihm auch in die neue Einsamkeit. Zuletzt wohnten über fünftausend Mönche dort. Antonius schloß die vielen einzelnen zu einem Orden zusammen, er gab ihnen eine Regel, er bemühte sich um die notwendigen
    Versorgungseinrichtungen. Antonius und seine Schwester gründeten die ersten Klöster. Von ihm stammt das Wort: »Wie die Fische sterben außerhalb des Wassers, so stirbt der Mönch außerhalb seiner Zelle.« Denn: »Wer allein lebt, ist dreierlei Kämpfen entgangen, dem Kampf des Auges, des Ohres und der Zunge. Es bleibt ihm nur ein Feind, das Herz.« Ein Bruder hatte der Welt nicht ganz entsagt, sondern einen Teil seines Vermögens behalten. Antonius schickte ihn, um Fleisch zu kaufen. Auf dem Rückweg wurde der Bruder von Hunden
    angefallen, die ihm das Fleisch entrissen und ihn selber übel zurichteten. Antonius aber sagte nur: »So werden die bösen Geister jeden zerfleischen, der vorgibt, der Welt entsagt zu haben und dabei doch den Mammon lieb behält.« Andere kamen und baten ihn zu predigen und ihnen die Worte Christi auszulegen. Da fragte er sie: »Habt ihr das Wort des Herrn gelesen: Wenn einer dich auf die rechte Backe schlägt, dann halte ihm auch die linke hin?« Sie aber antworteten: »Dieses Gebot können wir nicht halten.« Darauf sagte Antonius: »Dann nehmt wenigstens den einen Streich mit Geduld hin!« Aber sie sagten wieder: »Das können wir nicht.« – »Dann wollet wenigstens lieber geschlagen werden, als selbst zu schlagen!«
    Aber auch darauf sagten die Brüder:

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