Das Heerlager der Heiligen
sind?«
»Sicher sind es welche, Herr Oberst. Sie haben das Aussehen von Pfarrern, wie ich sie schon lange nicht mehr gesehen habe. Sie kommen die kleine Straße herunter, Richtungswinkel 32, Entfernung 800 Meter …
Sie singen, Herr Oberst! Der erste hat eine Art weißen Spitzhut auf dem Kopf. Er geht unter einem Sonnenschirm mit einem goldenen Ding in den Händen!«
»Eine Bischofsmütze, Schafskopf! Ein Baldachin. Eine Monstranz.«
41.
Sie waren zu zwölft. Zwölf Benediktinermönche der Abtei Fontgembar im Esterel. Elf Greise, dürr wie Weinranken, aber mit so weichen Gesichtern wie der Engel von Reims, und ein kräftiger Fünfziger mit beweglichen dunklen Augen. Alle trugen schwarze Kutten. Um Mitternacht waren sie noch im Kapitelsaal beisammen, um die Rede des Präsidenten der Republik zu hören. Zehn Minuten später hatte sich der Abt, Dom Melchior de Groix, von seinem Chorstuhl erhoben, mit aufrechter Haltung trotz seiner siebenundachtzig Jahren. Er sprach kurz folgendes:
»Meine Brüder, vor drei Jahren haben wir die tausend Jahre alten geheiligten Mauern dieses verlassenen Klosters wieder hergerichtet, trotz der Haßwelle, die unser Werk ausgelöst hat. Wir wissen noch nicht, zu welchem Zweck uns Gott die Anregung dazu gegeben hat. Heute, in dieser Minute, wo das christliche Abendland den größten Gefahren gegenübersteht, ahnen wir es deutlich. Wir sind die letzten meditierenden Mönche eines Ordens, der sich im alltäglichen Tun, im Engagement und in den Wirren dieser Welt aufgelöst hat, die zuerst geleugnet und dann vergessen hat, daß der Mensch nur auf Erden wandelt, um sein ewiges Heil zu erlangen. Wenn in dieser Feststellung Hochmut enthalten ist, möge uns Gott vergeben …«
Im Halbdunkel, in welchem nur ein paar Kerzen flackerten – das elektrische Licht war schon tags zuvor ausgefallen –, sah man eine Silhouette, die mit festem Schritt den Chorstuhl verließ und vor dem Abt auf die Knie sank. Es war der jüngste der alten Mönche, Dom Paul Pinet, Prior von Fontgembar. Mit gesenktem Blick sprach er:
»Es ist Hochmut, Vater. Im Namen des Gekreuzigten, der für alle Menschen gestorben ist, bitte ich Sie ein letztes Mal, darauf zu verzichten.«
»Gegen alle Erwartung hat mich Gott bis zu diesem außergewöhnlichen Tag am Leben erhalten«, erwiderte der Abt. »Das muß wohl einen Grund haben. Lieber Bruder Paul, ich weiß, daß Sie meinen Entschluß mißbilligen und meine Anordnung für gefährlich und vergeblich halten. Soll ich Sie vorübergehend von Ihrem Gehorsamsgelübde entbinden?«
»Ich möchte von keinem Gelübde entbunden werden«, antwortete der Prior. »Die Umstände werden es mit sich bringen oder der Wille Gottes, wenn Sie so wollen.«
»Gut. Gehen Sie auf ihren Platz zurück, Bruder«, fuhr der Abt fort.
Dann schlug er das große Buch des Neuen Testaments bei einer Seite auf, die mit einem seidenen Buchzeichen versehen war, und sagte:
»Meine Brüder, im Morgengrauen dieses Tages würde ich Euch gern an das 20. Kapitel der Offenbarung erinnern.
›Selig und heilig ist der, welcher an der ersten Auferstehung teilhat. Über solche hat der andere Tag keine Macht, sondern sie werden Priester Gottes und Christ sein und mit ihm diese tausend Jahre regieren …‹
So sprach der heilige Johannes von der Gnade, die das Volk Gottes auf seinem harten Lebensweg begleitete, um es zum ewigen Leben und zum Glück der völligen Erkenntnis zu führen. Aber die Zeit der tausend Jahre vollendet sich, meine Brüder.«
Und über das große Buch geneigt las er langsam:
»›Und wenn tausend Jahre vollendet sind, wird der Satanas los werden aus seinem Gefängnis und wird ausgehen, zu verführen die Heiden an den vier Enden der Erde, den Gog und Magog, sie zu versammeln zum Streit, welcher Zahl ist wie der Sand am Meer.
Und sie zogen herauf auf die Breite der Erde und umringten das Heerlager der Heiligen und die geliebte Stadt. Und es fiel Feuer von Gott aus dem Himmel und verzehrte sie. Und der Teufel, der sie verführte, ward geworfen in den feurigen Pfuhl und Schwefel, da auch das Tier und der falsche Prophet war; und werden gequält werden Tag und Nacht von Ewigkeit zu Ewigkeit.
Und der auf dem Stuhl saß, sprach: Siehe, ich mache alles neu. Wer überwindet, der wird alles ererben, und ich werde sein Gott sein, und er wird mein Sohn sein.
Die Verzagten aber und Ungläubigen und Greulichen und Totschläger und Zauberer und Abgöttischen und Lügner, deren Teil wird sein in dem
Weitere Kostenlose Bücher