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Das Heerlager der Heiligen

Das Heerlager der Heiligen

Titel: Das Heerlager der Heiligen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Raspail
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Oberst trank seinen Kaffee aus, zündete sich eine Zigarette an und sagte:
    »Gut skandiert diesmal! Das fängt sogar an, sich zu reimen. Und für die Schlächter des Westens, da haben sie sogar recht. Herrlicher Westen, der sich seiner so sicher ist und seiner Kultur und seiner Blindheit und Selbstherrlichkeit und des Rechts des Stärkeren. Und was haben wir alles im Namen dieses Rechts seit langem getan. Und wir hatten gut zu leben, da wir die Last andern aufbürdeten!«
    Er wandte sich an einen Offizier.
    »Herr Hauptmann! Letzte Stärkemeldung der Schlächter bitte!«
    »Um fünf Uhr fünfzehn, Herr Oberst, zweihundertzwanzig Offiziere, Unteroffiziere und Soldaten, ohne den Herrn Staatssekretär und seinen Chauffeur. Nein … (Er warf seinen Blick auf einen Mann, der ins Dunkle flüchtete.) Der Chauffeur ist soeben abgehauen. Damit sind es zweihunderteinundzwanzig. Keiner mehr. Und zweihundert Abgefallene während der letzten zehn Minuten. Bei diesem Spiel sind wir geschlagen.«
    Mit diesen Worten schlug er die Hacken zusammen und grüßte mit erhobenem Kinn und mit den Augen geradeaus blickend.
    »Was halten Sie davon?« fragte der Oberst.
    »Ich spiele nur eine Rolle«, antwortete der Offizier. »Ich habe eine Aufgabe übernommen.«
    Dann sprach er wie bei einem Appell in einem Zug:
    »Hübsche Figur von einem französischen Offizier! Durch seinen Schneid und seine Opferbereitschaft hat er es verstanden, seinen Männern mehr als Mut beizubringen und, ähnlich wie bei einem beispielhaften Rückzug, die Ufer des Mittelmeers zu erreichen, ohne seine Maschinenpistole aufzugeben! Zitiert auf Befehl der Armee!«
    »Spielen Sie zufällig auf mich an, Herr Hauptmann?«
    »Genau, Herr Oberst.«
    Beide lachten aus vollem Herzen. Der Offizier fuhr fort:
    »Ich habe mich noch nie so amüsiert. Alle, die desertierten, haben keinen Humor. Natürlich sind es viele. Gegenwärtig ist es schwer, Humor zu besitzen. Sie haben jetzt noch die Creme, Herr Oberst, nämlich die, denen alles egal ist, besonders dieses lächerliche Elend.«
    »Man muß glauben«, sagte der Minister, »daß wir außer Mode sind. Die Fröhlichkeit ist außer Mode. Das Glück ist strafwürdig. Der Ehrgeiz angeschlagen. Alles, was Lebensfreude machte. Als ich jung war …«
    »Bitte keinen Vergleich, Herr Minister!« sagte der Oberst. »Das gibt es auch nicht mehr. Außerdem ist es gegenstandslos. Hören Sie doch diese zwanzigjährigen Greise und ihre abscheulichen Bitten. Soll das eine Anregung für junge Leute sein? Alle stellen sich auf eine Ebene mit dem Ärmsten, dem Dreckigsten, dem Blödesten, dem Unnützesten und dem Unglücklichsten. Keiner richtet den Blick auf etwas Gehobenes, etwas Persönliches. Was für eine Welt man auch schaffen will, so geht es nicht! Besonders darf man sich auf den Schultern des Nächsten nicht über die Menge erheben, vielmehr gilt es, mit jedermann auf dem Boden zu bleiben …«
    »Sie werden ja furchtbar ernst, Herr Oberst«, bemerkte der Offizier.
    »Richtig«, erwiderte der Oberst. »Das wird nicht mehr vorkommen«
    Die Nacht der Töne und Stimmen ging langsam zu Ende. Die Psalmen des Panama Rangers wurden allmählich schwächer. Oberst Dragasès setzte ein Megaphon an den Mund. Breitbeinig, strotzend vor Gesundheit wandte er sich nach Norden zu den Banden und rief lautstark:
    »Ihr geht mir auf die Nerven!«
    Zu seiner Umgebung sagte er: »Das ist ein wenig geistlos, nicht sehr originell, aber genau das, was ich denke. Übrigens wende ich mich gar nicht so sehr an jene.«
    »An wen dann?« fragte Jean Perret.
    »Wahrscheinlich an die Zukunft …«
    Aus den umliegenden Villen kam gleich die Antwort.
    »Aas! Dreckhaufen! Blödel! Schlamper! Schuft!«
    »Können nicht mal mehr ›Scheiße‹ sagen«, bemerkte der Oberst.
    »Hurenbock! Saukerl! Mörder! Faschist!«
    »Faschist«, sagte der Oberst, »Imperialist, Kapitalist, Rassist. Mit Isten beschimpfte ich mich selbst. He! Da oben! Dankt ihnen meinerseits!«
    Das Maschinengewehr auf dem Dach der Villa jagte ein paar Feuerstöße hinaus. Es schoß auf Sicht, denn es wurde Tag. Man hörte Zornesschreie und dumpfes Stöhnen Verwundeter. Der Gewehrführer blickte durch das Fernglas.
    »Großer Gott, hört auf mit Schießen«, befahl er.
    »Was fällt Ihnen ein?« rief der Oberst. »Fehlt Ihnen etwa auch der Humor?«
    »Das nicht, Herr Oberst. Aber beinahe hätte ich Pfarrer umgelegt.«
    »Und? Berührt Sie das? Wie wollen Sie überhaupt erkennen, daß es Pfarrer

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