Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Heerlager der Heiligen

Das Heerlager der Heiligen

Titel: Das Heerlager der Heiligen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Raspail
Vom Netzwerk:
zugelassen, daß ihre Kinder und deren Manipulatoren mit dem Haß spielen, und haben ihre Autorität erst wiedererlangt, als sie ihren Nachwuchs ins Auto packten und davonfuhren.
    Auf dem Marsch über die Nationalstraße sangen die alten Mönche. Es war zwar eher ein gregorianisches Gemecker, half ihnen jedoch, schrittweise voranzukommen, denn mehr ging nicht. Außerdem paßte es zu ihrem körperlichen Zustand, und die Litanei der Heiligen kannten sie auswendig. Unentwegt. Sancte Patre, ora pro nobis, Sancte Patre, ora pro nobis. Und wieviele Heilige gab es doch im Pantheon der römischen Kirche. Der heilige Nikolaus für die kleinen Kinder, der heilige Georg mit dem Drachen, der heilige Anton für verlorengegangene Sachen, die heilige Pulcheria für die wiedererlangte Fruchtbarkeit, der heilige Méloir zum Schutz gegen Unwetter …
    An der Spitze des Zuges ging Dom Pinet. Mit zusammengebissenen Zähnen umklammerte er mit seinen Händen die Monstranz. Er hatte den Abt in Verdacht, daß er zur Fortsetzung der Litanei immer neue Heilige erfand, wie er auch einen Gott nach seinen Maßen erfunden hatte. »Heiliger Bastian«, flötete der Abt. »Ora pro nobis«, antworteten die alten Knacker. Im Gehen erfand Dom Melchior weitere und lächelte in seinen Bart, als ob ihn dies alles amüsierte. Gingen sie an einem Brunnen vorbei, suchte er nach einem Beschützer der Brunnen und schon ertönte der Name des heiligen Baptist. Sein Fuß machte ihm zu schaffen. Wer heilt Zehen? Der heilige Pedraton. Es machte ihm ungemein Spaß. Kaum zu fassen, diese vielen Heiligen. Das paßte zu ihm. Hatte er doch auch in einem Saal des Klosters alle sulpizianischen Schreckensbilder, die aus den Kirchen des Bezirks entfernt worden waren, aufgehängt, dazu noch Votivtafeln. Er liebte sie und besuchte sie jeden Abend. Von Zeit zu Zeit kniete er vor einer Statue und betete sie lächelnd an, während Dom Pinet als stummer Zeuge über die üblen Folgen der Greisenhaftigkeit nachdachte. Eines Tages fragte jedoch der Prior:
    »Wollen Sie diese Sammlung behalten?«
    Dom Melchior antwortete: »Solange sie nicht durch anderes ersetzt wird. Sicher, sie ist abscheulich. Aber die Pfarrer von heute haben eine proletarische Seele und daher keinen Geschmack. Und das wissen sie nicht einmal. Sie wollten den Heiligen töten und nicht die Statue …«
    Es folgten dann in der Litanei der Heiligen die Reihe der Notre-Dame des Marienkults und alle mythischen Erzengel, Schwert- und Flammenträger mit beliebig gestutzten Flügeln auf dem Billard der Ökumene. Ob richtig oder falsch, sie wurden alle mobilisiert.
    Als man sich den Vororten einer kleinen Stadt in der Nähe der Küste näherte, hatte der Abt das Bedürfnis, eine Verschnaufpause einzulegen. Er gab dazu ein Zeichen. Aber keiner der wackeligen Greise wollte sich angesichts des heiligen Sakraments auf die Erde setzen. Sie wären übrigens auch nicht mehr fähig gewesen, sich wiederzuerheben. So blieben sie stur stehen, hüstelnd, ein wenig spuckend und speichelnd, schwankend und mit leerem Blick. Man hätte sagen können, ein lichter Wald aus vom Wind zerzausten, kahlen Bäumen.
    In der von den Einwohnern verlassenen kleinen Stadt war nur der Haß zurückgeblieben. Ihn konnte man überall lesen. Auf der Stirnseite des Festsaals der Pfarrei stand: »Geld = Todsünde«. Auf den Umfriedungsmauern der herrschaftlichen Villen hieß es: »Tod der kapitalistischen Bourgeoisie.« Im Gegensatz zu andern, bescheideneren Häusern, deren Türen und Läden verschlossen waren, boten diese Villen das Bild eines Schlachtfelds. Die Fenster waren aufgebrochen, die Scheiben zersplittert, das Mobiliar lag zertrümmert auf dem Rasen. Über den eisernen Balkongeländern hingen aufgeschlitzte Matratzen. Blumen lagen zertrampelt im Garten. Nicht umsonst waren die Truppen des Panama Rangers dagewesen. Sie waren jetzt die Bevölkerung. Aber auch diejenigen, welche sahen, wie die Reichen als erste flohen und viel mehr Gepäck in viel größeren Autos verstaut hatten, während sie, obwohl zahlenmäßig stärker, viel weniger Koffer in viel kleinere Autos verladen mußten, waren ergrimmt. Bevor sie abfuhren, hatten sie eine Stunde geopfert, um sich zu rächen. Es war ein düsteres Fest, denn sie hatten es eilig. Sie hatten nicht einmal Zeit zum Lachen oder zum Singen. Auch nicht für einen Tanz um das Freudenfeuer, das sie mit den Sachen der Reichen entfacht hatten, wie zu Zeiten der Mutter der Revolution. Mit der Angst in den Gedärmen

Weitere Kostenlose Bücher