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Das Heerlager der Heiligen

Das Heerlager der Heiligen

Titel: Das Heerlager der Heiligen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Raspail
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Glück als verheirateter Priester. Er sagte, »für mich führt der Weg zu Christus über Lydia«. Er dachte es und beschrieb es. Man las in vielen Zeitungen seine Unterschrift. Er veröffentliche Bücher und gab bei Funk und Fernsehen Interviews. Als Fahnenträger der neuen Kirche und durch den Erzbischof ermutigt, baute er ein neues Priestertum und dann die Kirche und den Glauben auf. Viele ahmten ihn nach, allerdings mit mehr oder weniger Geschick, da sie auch gewöhnliche, schlechte oder geschmacklose Mädchen heirateten. Unter diesen Pfarrfrauen war Lydia Königin. Dann war es eines Tages still geworden. Man sah das berühmte Paar nicht mehr und man sprach auch von Pfarrer Chassal nicht mehr. Als geprellter Ehemann vergrub er sich und fristete sein Leben in der Pfarrgemeinde eines Vorortes …
    »Heute verleugnet sich mehr oder weniger jedermann«, antwortete der junge Priester. »Nur damit kann man seinen wahren Platz im Leben finden.«
    »Was soll aber diese Maskerade?« sagte der Prior.
    »Ich habe jahrelang andere getragen. Diese löst die andern ab. Es gilt in Schönheit zu enden.«
    »Was machen Sie hier?« fragte Dom Melchior.
    »Ich bin, wie viele Priester, zur Küste gezogen, um das befreiende Zeichen zu empfangen, nämlich eine Million Christen an Bord dieser Schiffe, die an diesem Morgen die Dämmerung einer neuen und gerechten Welt erwecken werden … Wir waren zu fünft in meinem Wagen. Ein paar Kilometer von hier hatten wir kein Benzin mehr. Dann sind wir zu Fuß weiter. In der kleinen Stadt, wo wir etwas zu essen suchten, haben wir Sie vorbeikommen gesehen. Ich sagte zu den andern: Geht ohne mich weiter, ich treffe euch später wieder. Jetzt folge ich jenen. Ich will die Vergangenheit sterben sehen. Ich bin Ihnen gefolgt und bin erschüttert.«
    Was er nicht sagte, war, daß er auf dem ganzen Weg über sich selbst
    ebenso erschüttert war wie über diese arme Herde kindischer Benediktiner, die auf dem letzten Kreuzzug dahergeschwankt kamen. »Lydia! Lydia!« seufzte er, »warum hast du mich verlassen?« Aber jedesmal, wenn ein Mönch hinfiel und das Blut über die hohlen Wangen floß, verblaßte das Bild Lydias mehr und mehr. Schließlich hatte er sie vergessen, und der Seelenfrieden war wieder bei ihm eingekehrt.
    »Haben Sie gehört, was wir vorhin gesprochen haben, Dom Paul und ich?« fragte der Abt.
    »Ich habe es gehört.«
    »Hat Sie dies nicht von uns abgestoßen?«
    »Nein, ich bin über mich ins Klare gekommen.«
    »Haben auch Sie den Glauben verloren?«
    »Wahrscheinlich, wenn ich überhaupt jemals einen gehabt habe. Aber noch nie war ich so glücklich und zufrieden wie heute morgen. Sicher hatte ich mich in der Haltung getäuscht
    »Knien Sie nieder, mein Bruder, ich werde Ihnen meinen Segen erteilen. Dann nehmen Sie den Platz meines Bruders Paul ein, von dem wir uns trennen. Er bewahrt seinen Glauben, glaubt aber nicht mehr an den in der Hostie gegenwärtigen allmächtigen Christus. Möge er diesen anderswie verehren. Wir behalten unsern Glauben, so wie er zu uns paßt. Und wenn in der letzten Minute kein göttliches Zeichen uns rettet, was soll‘s? Wir sind uns dann wenigstens selbst treu geblieben. Benedictat vos omnipotens Deus …«
    Als der junge Mann sich wieder erhoben hatte, gab ihm Dom Pinet die Hostie in die Hände, wandte sich um und entfernte sich wortlos mit raschen Schritten.
    »Bruder Paul«, rief ihm der Abt nach, »wollen Sie mich nicht umarmen, bevor Sie uns verlassen?«
    Der andere blieb wie angewurzelt stehen. Er bog den Rücken wie bei einem Gewitter.
    »Man darf nichts übers Knie brechen«, fuhr der Abt fort. »Man muß das Stück, so wie es geschrieben wurde, bis zu Ende spielen. Wir sind die Kirche der letzten Tage und nicht zahlreicher als am Anfang. Da Sie sich entschlossen haben, uns aufzugeben, und zwar schon seit Ihrem Eintritt bei uns, so müssen Sie Ihre Rolle einhalten und mir den Versöhnungskuß geben.«
    Die Kirche der letzten Tage jammerte verständnislos. Geistesabwesend trocknete der eine seine durch den Marsch blutig gelaufenen Füße ab. Ein anderer, dessen Gedächtnis Schaden erlitten hatte, murmelte zusammenhanglose Gebetsbrocken. Ein Dritter lächelte zu den Engeln empor, während sein Nachbar, der nicht mehr erkannte, wo er war und warum, wie ein verlassenes Kind weinte. Der Reihe nach stöhnten sie »Vater, ist es noch weit? Sind wir bald da?«
    Dom Pinet hörte sie, zuckte die Achseln und eilte weiter. Flucht nach vorne. Mit der

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