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Das Heerlager der Heiligen

Das Heerlager der Heiligen

Titel: Das Heerlager der Heiligen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Raspail
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gestrandet war. In dieser Masse, die sich in einem Zustand mystischer Erregung befand, hatte er fast das Bewußtsein verloren.
    Als die CALCUTTA STAR den Hafen verließ, glaubte der Bischof auf dem verlassenen Kai eine Blutlache zu sehen, an der zwanzig Hunde leckten, während weitere hundert Hunde aus den leeren Straßen herbeiliefen, um sich an dem Schmaus zu beteiligen. »Wahrhaftig! Ist das alles, was vom Konsul übrig bleibt?« war der einzige Gedanke, der sein Gehirn durchzuckte. Es war ihm, als ob einer der Hunde mit der Zunge Worte in das Blut zeichnete. Von dem sich absetzenden Schiff aus konnte er sie nicht lesen. Auch war er nicht sicher, ob es wirklich Worte waren, obwohl er einen Augenblick geglaubt hatte, lateinische Silben erkannt zu haben. Auf der Schiffbrücke zerbrach er sich in der verkrampften Sitzstellung eines Yogi täglich den Kopf und versuchte im Rhythmus des Wassers etwas zu entdecken, was seine Netzhaut nicht festgehalten
    hatte. Langsam verdunkelte sich sein Verstand.

13.
     

    Am Ende des Ganges löste sich die Rötung des Deltas im Golf von Bengalen plötzlich auf. Die hundert Schiffe der Emigrantenflotte nahmen Südwestkurs in Richtung der Meerenge von Ceylon. Die Kapitäne hatten vereinbart, die Geschwindigkeit nach dem baufälligsten Schiff zu richten. Es war ein Krüppel unter dieser merkwürdigen Flotte, der bisher im ruhigen Küstengewässer als Schleppdampfer gedient hatte. Sein niedriger Bug, der wie die ganze, flache Schiffbrücke dicht mit Pilgern besetzt war, tauchte bei jeder Woge ins Wasser, wobei immer etliche Überzählige als Tribut in der Gischt verschwanden. Es war, als ob am Schluß des Konvois der kleine Däumling den Rückweg mit menschlichen Kieselsteinen hätte kennzeichnen wollen.
    Auf der INDIA STAR an der Spitze hatte die Mütze des Kapitäns ihren Besitzer gewechselt und saß nun auf einem kahlköpfigen Stumpf. Die Stirn desselben war mit vier Goldlitzen geschmückt, die starren Augen ohne Lider gegen die Meeressonne durch den glänzenden Mützenschirm geschützt. Die Mißgeburt kommandierte jetzt die Flotte. Sie tat es nach Art eines Orakels, das vor jeder ernsten Entscheidung befragt wurde. Ein Blitzen der Augen gab den Ausschlag. Seltsamerweise wurde erst später klar, daß das Schicksal der Flotte bei mehreren Fällen vom Glück begünstigt war.
    An der Reise nahmen auch Statisten teil. Seit dem Heulen der Sirene der INDIA STAR waren sie sehr überrascht, daß sie völlig nebensächlich geworden waren. Sei es, daß sie als verfemt galten oder Rassenhaß oder nur offensichtliche Gleichgültigkeit mitspielten, jetzt saßen sie als Gefangene von einer Mauer von Menschenleibern umgeben im untersten Deck des Schiffes oder in dunklen, heißen Kammern neben dem Maschinenraum. Es waren Weiße darunter. Auf ihren Absätzen hockend unterhielten sie sich, ein einsamer, hungriger, primitiver Haufen. Sie redeten eine Woche lang. Das Ereignis, an dem sie teilnahmen und dessen nutzlose Zeugen sie blieben, stürzte sie in Angstzustände, die sich durch die Erschöpfung steigerten. Jeder baute eine neue Welt auf, wie sie in irgendeinem Wochenblatt der westlichen Linken angepriesen wird. Es war gut so, daß sie sich in ihrer augenblicklichen Notlage nicht mit Tiraden erschöpften und sich gegenseitig ihre Namen, ihren Glauben und ihre Ansichten vorhielten, was ohnedies keinen Wert hat, wenn man im Dunkel eines Bunkers hockt. Da sie nichts zu beißen hatten, zerpflückten sie den Westen mit Worten. Der Hunger machte sie dabei bösartig.
    Sie sahen sich als gute Apostel, welche die Schritte der Menge auf westlichen Boden lenken werden. Der eine wollte dann die Kranken aus unsern Krankenhäusern hinauswerfen und auf den weißen Leintüchern die Lepra– und Cholerakranken betten. Ein anderer wollte unsere fröhlichsten Kinderschulen mit mißgestalteten Kindern bevölkern. Ein weiterer predigte im Namen einer künftigen Einheitsrasse den schrankenlosen Geschlechtsverkehr. Er meinte, daß dies nicht schwierig wäre, weil die unterschiedlichen Hautfarben sich anziehen würden. Wieder einer wollte die Supermärkte den Heerscharen der dunklen Nacktfüßler ausliefern. »Du kannst Dir vorstellen, was da los wäre! Hunderttausende von Frauen und Kindern in den riesigen Milchbars losgelassen. Wie glücklich sich diese vollstopfen und alles kaputtmachen würden …«
    Von Zeit zu Zeit unterbrach eine dieser Vipernzungen ihre Ergüsse und leckte am Eisengitter, wo sich kondensierte

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