Das Heerlager der Heiligen
Feuchtigkeit in süßen Wassertropfen absetzte. »Nichts zu trinken für die Unglücklichen«, sagte der abtrünnige Schriftsteller. »Elende Welt! Bereite dich vor, du mußt deine Vorräte teilen. Der Idiot von Wasserträger wird sich in deinen Schwimmbädern tummeln. Er wird vielleicht verrückt werden, wenn er abschätzt, wieviele Wasserkübel der Inhalt dieser Bäder ergibt, und du, du wirst an deine Tür klopfen und um ein Glas Wasser bitten! …« darauf legte er sich hin und sprach kein Wort mehr.
Am neunten Tag verstummte ein Kämpfer nach dem andern. Es waren Laienmissionare, der Kirche feindlich gesinnte Priester, idealistische Pedanten, aktivistische Denker, die sich da als harte Vertreter einer andern Welt auf den Schiffen befanden. Manchmal erhob sich einer und löschte seinen Durst am eisernen Geländer. Aber keiner sprach mehr ein Wort. Sie waren mit dem Leben davongekommen. Ein Kind brachte ihnen Reis. Es dachte dabei sicher an die schmutzigen Bonbons von Ballan …
Als die Flotte durch die Meerenge von Ceylon fuhr, um dann um die Südspitze Indiens herum in nordwestlicher Richtung dem Roten Meer und dem Suez-Kanal zuzustreben, wurde die Welt plötzlich wach. Eine Flut von Funk– und Fernsehmeldungen und ein Meer von Pressenachrichten befaßten sich mit dem Vorgang.
14.
Die Behauptung, der Aufbruch der Flotte hätte nach ihrem Bekanntwerden die westliche Welt beunruhigt, wäre zu diesem Zeitpunkt falsch gewesen. Viele Leute redeten sofort salbungsvolle Worte. Die Milchkühe westlichen zeitgemäßen Denkens trösteten sich täglich schweifwedelnd und fröhlich, daß vorerst kein Problem bestehen würde.
Wenn man angesichts der Auswandererflotte oder auch einer anderen außergewöhnlichen Sache die westliche Meinung verstehen will, muß man von der westlichen Vorstellung ausgehen, daß sie sich grundsätzlich über alles lustig macht. O ja! Sie spiegelt Stimmungen wider, wie sie ins Kino geht oder sich im Fernsehen spontan oder berufsbedingt einsetzt. Das Welttheater, das durch diese Hure Massenmedien frei Haus geliefert wird, bringt nur etwas Abwechslung in das absolute Nichts, in das sie seit langem abgesunken ist. Wer noch denken kann, dem kommt dabei der Speichel hoch. Wir wollen aber nicht spucken. Wenn die Nachrichten kommen oder die Presseschau, geifert die Hure und beweist, daß sie offenbar etwas denkt, wie auch der Geifer von Pawlows Hund von seinem wachen Instinkt zeugt. Die Trägheit wird von der Meinung aufgerüttelt. Das ist ihre Tätigkeit. Glaubt man aber wirklich ernstlich, daß irgendein Durchschnittsbewohner im Westen, wenn er aus der Fabrik oder aus dem Büro kommt und mit den Ereignissen der Welt konfrontiert wird, etwas anderes fühlt als eine vorübergehende Unterbrechung der gewaltigen Langeweile, in der er sich bewegt?
Als der erste Pressehubschrauber über der Küste Ceylons aus geringer Höhe die ersten Aufnahmen von der Emigrantenflotte machte, erschütternde Fotos, die über Radar in der gesamten Weltpresse erschienen, was glauben Sie wohl, was der Normalverbraucher im Westen dabei dachte?
Er wäre bedroht? Das Todesglöcklein würde für ihn läuten? Keineswegs. Er dachte ganz einfach, daß er diesmal mit dem Bericht über die verzweifelte Fahrt dieser Flotte, die ihre Toten im Ozean verstreute, einen guten Unterhaltungsartikel vorgesetzt bekommen hat.
Indessen sah die Wirklichkeit ganz anders aus. Es gab ein brutales Erwachen, wie es die Menschheit seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr erlebt hatte. Die Nachrichten sprengten die Bildschirme, daß die Fetzen in die Beefsteaks flogen. Die Leute sprangen auf und nieder wie in einem Aquarium, in welchem sie sich noch kurz zuvor vergnügt hatten. Da aber das schützende Glas geborsten war, nahmen Elend, Plage und Klagen, Haß und Maschinengewehre ihren Lauf und hinterließen auf ihrem Weg geplünderte Wohnungen, zerstörte Harmonien und zu Stein gewordene Familien. Sie verbreiteten sich über die ganze Stadt, das ganze Land, über die ganze Welt, als lebensnahe Photos, als Probleme, die alle angingen. Es war wie in einem Film mit großen Filmschauspielern, die, plötzlich toll geworden und unbeherrscht, zum Regisseur »Scheiße« sagen.
Auch der kleine Mann merkte auf einmal, daß er schlecht zugehört oder gelesen hatte, daß diesmal die Nachricht nicht zu seinem stillen Vergnügen über den Lautsprecher kam. Was er jetzt hört, lautet schlicht: »Eine Million Flüchtlinge vom Ganges wollen morgen früh in
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