Das Heerlager der Heiligen
Schwächerwerden seines Einflusses. Der Gewehrschuß des kleinen Konsuls war schließlich Symbol der verlorenen Überlegenheit.
Der kleine Konsul wollte kein Aufsehen erregen. Er ging keinen Empfehlungen nach und keinen vergleichbaren Vorgängen. Er fühlte sich weder als Held, noch hatte er Lust an einem Theater. Und doch verursachte sein Tod einen ganz hübschen Spektakel. Seine Armee, zum Beispiel, die aus einem einzigen Mann, einem Sikh, bestand, war nur noch eine symbolhafte, armselige, ausgehungerte Theatertruppe, die mit ungeschicktem Schritt über die Bühne ging, gleichsam mit einem Plakat in der Hand, auf dem jeder lesen konnte: »Armee des Herrn Konsuls aus Europa«. Immerhin achtete die Armee des Konsuls die alten Traditionen, welche die Größe und Macht des Abendlandes außerhalb seiner Mauern verankert hatten. Es war eine Armee aus Eingeborenen. Daß sie nur noch aus einem einzigen Mann bestand, machte sie noch eindrucksvoller. Wenn die Größe nicht mehr von allen anerkannt wird, ist die Groteske der einzige vernünftige Ausweg. Was soll's! Die Hofnarren waren intelligenter als die Könige. In dieser Welt von neuen, schwarzen Königen wird der weiße Mann zum Hofnarren. Das ist alles.
Der kleine Konsul aus dem Abendland erschien am hellen Mittag an der Spitze seiner »Armee«. Wenn man sagen würde, diese wäre demoralisiert gewesen, so hätte dies kaum der Wahrheit entsprochen. Sie brach einfach zusammen. Das alte Gewehr zitterte in der Hand seines von Furcht gepackten Trägers. Doch ohne zu überlegen, setzte die »Armee« mit weichen Knien ihre Fußstapfen in die des Generals. Unter Befolgung der belgischen, nach englischem Muster ausgerichteten Exerzierregeln – Kopf hoch, Blick gerade aus, ohne irgendwo hinzuschauen – erreichte die »Armee« gerade noch soviel Überraschungswirkung, daß die Menge ihr den Weg freigab. Mitten durch sie hindurch gelangte der Konsul schließlich zum Kai. Dort lag ein großes Schiff, das fast ebenso hoch war wie die INDIA STAR. Es war mit dem Festland durch drei Laufstege verbunden, auf denen sich dichte Menschenhaufen nach oben zwängten. Am Fuß einer der Stege stand ein weißer Mann mit dem Rücken zur Menge gekehrt. Sein Blick war in die Ferne gerichtet. Traurig erhob er seine Arme.
»Was machen Sie denn hier?« fragte der Konsul den Bischof. »Glauben Sie, daß der Augenblick gekommen ist, wo wir beide sterben werden, ohne einig zu sein?«
Der Bischof brach seine Betrachtung ab und lächelte.
»Sie gleichen dem toten Christus«, fuhr der Konsul fort. »Ich habe meine Stellung verloren, aber ich weiß warum. Das ist der Unterschied zwischen uns beiden, Sie schweben in Illusionen, im Namen eines närrischen Gottesglauben, der nur in Ihrem Kopf besteht. Aber schauen Sie sich doch einmal ernstlich dieses Gewimmel um uns herum an, und entscheiden Sie dann offen. Sie sind nur ein blinder, stummer und unnützer Apostel. Für diese Menge bedeuten Sie gar nichts, während ich ihr binnen kurzem wenigstens einen Augenblick gegenübertreten werde. Sie stehen, schlicht gesagt, allein da, Monsignore. Alle diese Menschen betrachten Sie verständnislos, und trotzdem haben Sie ihnen den Segen erteilt. Das haben Sie doch gemacht, nicht wahr?«
»Sicher«, erwiderte der Bischof. »Ich bin der apostolische Präfekt vom Ganges. Jetzt zieht meine Diözese fort. Ich wünsche ihr gute Reise und bitte Gott, daß er ihr helfen möge.«
»Jämmerliche Phrasen!« sagte der Konsul. »Als ob der Ganges je einen Bischof gebraucht hätte. Und Sie glauben, daß Gott diesem Pack helfen wird? Ihr Gott vielleicht, aber nicht der meinige.«
Der von Angst gepackte Sikh war fassungslos. Er wandte sich den beiden Männern zu, die ganz allein inmitten der Menge unbekümmert plauderten. Dann schwenkte er schnell den Lauf seines Gewehrs wie ein Panzerturm in einem närrischen Film und fuhr mit ihm die Mauer der im Kreis herumstehenden Gesichter entlang. Als er beim Konsul ankam, hoffte er in seiner panischen Furcht, daß sein Herr endlich auf ihn hören werde.
»Konsul Sahib! Wir müssen weg! Ich kann niemand mehr Angst machen! Sie sind zu nahe da. In wenigen Sekunden wird niemand mehr vor Ihnen Angst haben, und wir werden dann nicht mehr lebend herauskommen, Konsul Sahib!«
»Hast Du eine Kugel in Deiner Kanone?«
»Nein, Konsul Sahib. Wozu auch?«
»Gut, stecke eine hinein, Schafskopf!«
Schande über die Sikhs, den einstigen Ruhm des Kaiserreichs. Beim fünften Versuch wurde der Befehl
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