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Das Heerlager der Heiligen

Das Heerlager der Heiligen

Titel: Das Heerlager der Heiligen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Raspail
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leicht vernichten könnten. Sie müßten nur drei Treppen hochsteigen, um es mir zu sagen und … Sie werden mir den Boten schicken. Ich grüße Sie, Herr Direktor…«
    Überrascht und nachdenklich ging der Direktor von »La Grenouille« in sein Büro. Am Tag X, wenn die Menschen vom Ganges zu Hunderttausenden aus den an der Küste gestrandeten Schiffen klettern, wird der Bote von »La Grenouille« die drei Treppen hochsteigen und mitteilen, daß »La Pensée Nationale« nicht mehr gedruckt werden wird, weil der Direktor sich vor zehn Minuten aufgehängt hat. Der Leser möge diesen Vorgriff angesichts der Verkettung der ein wenig geheimnisvoll und unterirdisch ablaufenden Ereignisse gestatten. Es dient zum besseren Verständnis …
    Wenden wir uns wieder dem Gespräch Machefers mit seinen Mitarbeitern zu. Machefer fuhr fort: »Leider werden keine Killer auf Vilsberg und Durfort in ihren Schlafzimmern warten. Ich fürchte, daß alles übel ausgeht … Laßt uns jetzt Vilsberg anhören, dann wissen wir, wie weit die Katastrophe gediehen ist.«
    Boris Vilsberg war kein Zorro. Bezüglich der Weltlage hatte Durfort keine Zweifel. Vilsberg zweifelte an allem. Sie waren typische Vertreter ihrer Zeit. Vilsberg, der einen hohen Bildungsgrad, eine grenzenlose Wißbegierde und eine äußerst ausgeprägte Intelligenz besaß, trug seine Zweifel berufsbedingt wie ein Erlöserkreuz vor sich her. Er wirkte ergreifend, zumal zu spüren war, wie er unter dem Verlust der Grundwerte, an die er sich zu halten schien, ehrlich litt. Er war auch zu klug, um sich in typisch allgemeinen Floskeln zu ergehen, wie etwa »Was wollen Sie, wir müssen mit der Zeit leben, selbst um den Preis bitterer Enttäuschungen, und wir müssen neue Denkformen suchen, mehr Einverständnis« und dergleichen. Die meisten seiner Zuhörer verstanden ihn letzten Endes sehr wohl. Viele sahen in ihm ihr Spiegelbild, vor allem alle, die sich für intelligent hielten oder es sein wollten. Davon gibt es in unsern Tagen nicht wenige. Privat beklagte sich Vilsberg, daß man ihn mißverstand, weil er sich darauf beschränkte zu zweifeln. Im Grunde genommen war Vilsberg eine seltsame Natur. Er war ein erklärter Diener der Mißgeburt, ein Gefangener der Sünde wider den Geist, vergiftet durch eine Droge, den Zweifel, und daher wahrscheinlich unzurechnungsfähig. Tagein, tagaus, Monat für Monat war im Verfolg seiner Zweifel die Ordnung eine Art Faschismus, der Unterricht ein Zwang, die Arbeit eine Entfremdung, die Revolution ein Gratissport, das Vergnügen ein Klassenprivileg, Marihuana ein schlechter Tabak, die Familie ein stickiger Raum, der Konsum eine Beklemmung, der Erfolg eine schändliche Krankheit, der Sex ein unwichtiger Spaß, das Jugendaller eine dauernde Anklage, die Reife eine neue Form der Greisenhaftigkeit, Disziplin ein Schlag gegen die Menschlichkeit, die christliche Religion …, der Westen …, die weiße Hautfarbe … Boris Vilsberg suchte, Boris Vilsberg zweifelte. Das ging so jahrelang. Um ihn herum häuften sich die Trümmer eines alten Landes. Vielleicht ist dies auch eine Erklärung?
    »Hier ist der Sender Alpha. Sie hören die genaue Zeit und die Nachrichten. Es ist 19 Uhr 45. Den täglichen Kommentar spricht Boris Vilsberg.«
    »Juliénas«, bemerkte kurz Machefer und hob sein Glas. Im Radio ertönte die langsame, gesetzte Stimme von Vilsberg.
    »Nach den ersten Kommentaren, die aus Anlaß der Fahrt der Armada vom Ganges nach Europa ausgestrahlt wurden, stelle ich fest, daß sie alle von tiefer Menschlichkeit zeugen und rückhaltlos Großzügigkeit verlangen. Bleibt uns überhaupt noch Zeit, anders zu entscheiden? … Was mich aber gewaltig überrascht, ist der Umstand, daß niemand von dem Risiko gesprochen hat, das die in Minderheit befindliche weiße Rasse eingehen muß. Ich bin Weißer und Angehöriger des Westens. Wir sind Weiße. Wieviele insgesamt? Siebenhundert Millionen Individuen, hauptsächlich in Europa ansässig. Demgegenüber stehen mehrere Milliarden Nichtweiße. Bis heute blieb das Gleichgewicht erhalten, wird aber täglich unsicherer. Die auf uns zukommende Flotte bedeutet doch, ob man will oder nicht, daß die Zeit der Blindheit gegenüber der Dritten Welt abgelaufen ist. Wie soll man sich verhalten? Was tun? Stellen Sie sich diese Fragen? Ich wünsche es. Es ist höchste Zeit! …«
    »Jetzt gibt‘s Arbeit!« sagte Machefer. »Rund um den Bauch, wie üblich. Gut gesehen, klar verständlich für alle. Das macht Angst. Jetzt

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