Das Heerlager der Heiligen
müßte man hineinknallen, daß es sich von selbst versteht. Aber nein, Vilsberg spricht ja, dieser Idiot.«
»Ich weiß«, fuhr Vilsberg fort, »daß Sie den Ernst der Lage noch nicht richtig erfaßt haben. Wir leben mit der Dritten Welt, überzeugt, daß diese Koexistenz ohne entspannende Lösung auf Weltebene ewig dauern würde. Eine tödliche Illusion! Die Dritte Welt ist eine unkontrollierbare Masse, die unter dem Druck des Elends von Millionen Verzweifelter plötzlich einem Impuls folgt und sich zusammenschließt. Von Bandung bis Addis Abeba sind bisher alle Versuche, Ordnung zu schaffen, gescheitert. Seit heute früh stehen wir dem ersten Impuls gegenüber, und wie Sie wissen, wird ihn nichts aufhalten. Es mußte so kommen. Sie werden mir immer noch nicht glauben. Sie weisen den Gedanken zurück. Der Weg vom Ganges bis Europa ist weit. Vielleicht wird unser Land nicht betroffen. Vielleicht finden die westlichen Regierungen noch eine Wunderlösung … Es steht Ihnen frei, dies zu hoffen und die Augen zu verschließen. Aber wenn Sie sie dann aufmachen und an unserer Küste eine Million Emigranten mit dunkler Hautfarbe sehen, was machen Sie dann? Ich gestehe, daß dies nur eine Vermutung ist. Gut, lassen wir es bei der Vermutung bewenden! …«
»Achtung, Kinder!« sagte Machefer, »Jetzt kommt die Pirouette!« …
»Und da wir bei Vermutungen angelangt sind, sind wir schon bereit, die Menschen vom Ganges aufzunehmen. Ob mit Vorbehalt oder großzügig, wir werden sie jedenfalls empfangen. Wenn wir sie nicht töten oder in Lager einsperren wollen, können wir gar nicht anders handeln. Bis zu Ihrer friedlichen Landung bleiben uns vielleicht noch vierzig Tage, höchstens zwei Monate. In der Zeit der Vermutungen schlage ich daher vor, uns ehrlich zu bemühen, uns an den Gedanken zu gewöhnen, daß wir mit Menschen zusammenleben müssen, die völlig verschieden von uns sind. Ich lade Sie ein, ab morgen über diese Welle um die gleiche Zeit dreiviertel Stunden lang an einer neuen Sendung teilzunehmen, unter dem Titel ›Die Sonderarmada‹. Alle Fragen, die Sie sich und uns stellen und die sich auf die Bedingungen beziehen, unter denen eine Million Neuankömmlinge vom Ganges unter einer menschlichen und tragbaren Koexistenz mit zweiundfünfzig Millionen Franzosen leben können, werden wir offen beantworten. Rosemonde Réal ist bereit, mir bei dieser überwältigenden Aufgabe zu helfen. Sie schätzen ihren scharfen Verstand, ihre Lebensfreude, ihr Vertrauen in den Menschen und ihre Kenntnisse auf dem Gebiet der innersten Seelenvorgänge …«
»Mein Gott!« sagte Machefer, »da haben wir wieder diese gute Frau. Am Mikrophon ist sie zu allem fähig.«
»… Allerdings werden wir nicht allein sein. Rosemonde und ich haben, um ihre Fragen beantworten zu können, Spezialisten aller Sparten bei uns, Mediziner, Soziologen, Lehrer, Wirtschaftler, Ethnologen, Pfarrer, Historiker, Journalisten, Industrielle, hohe Staatsbeamte und so weiter. Manche besonders delikate Probleme, zum Beispiel sexuelle oder psychologische Fragen, die auch den Rassismus berühren, der in jedem von uns steckt, erfordern längere Überlegung und vielleicht neue Spezialisten. Als gewissenhafte und denkende Menschen werden wir unser Möglichstes tun, um der Wahrheit nahe zu kommen. Und wenn am Ende des dramatischen Abenteuers, das heute früh an den Ufern des Ganges begonnen hat, schließlich keiner der Unglücklichen bei uns erscheint, so beenden wir das größte historische Rundfunksendespiel als Sendung über Antirassismus. Glauben Sie mir, wir werden nicht umsonst gesendet haben! Auf alle Fälle geschah es für die Menschenehre. Eines Tages werden wir vielleicht ernst spielen. Bis morgen.«
»Volk!« sagte Machefer, »Du hast den Rundfunk, den Du verdienst. Ein Spiel! Das ist es! Panem et Circenses. Aber wer erinnert sich dabei an den Spott eines Juvenal? Kinder, verfehlt die Sendung ›Sonderarmada‹ nicht. Wir werden unsern Spaß daran haben! Die Armee der Blödmänner wird die Ätherwellen besetzen, und das Land wird im Strom der Dummheit ertrinken. Oh! Sie wissen, was sie tun!«
»Herr Machefer«, sagte einer der Studenten der Zeitungswissenschaft, »wir müssen dies öffentlich bekanntmachen, wir müssen handeln, müssen diese Verschwörermannschaft aufdecken und alle, die noch geradestehen, alarmieren. Wir müssen mit allen Kräften kämpfen …«
»Mit viertausend verkauften Exemplaren? Daß ich nicht lache!«
Das Telefon
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