Das Heerlager der Heiligen
Höchstgeschwindigkeit fahrenden Schiffs begann das Seefeld mit den schwarzen und weißen Blumen, mit den Toten und Lebenden, die von den Wogen wie ein Kressenbeet aus Menschenleibern hin und her geschaukelt wurden. Bei fünfundzwanzig Knoten Geschwindigkeit beging der griechische Frachter »Insel Naxos« auf Befehl seines Kapitäns und durch die schuldhafte Passivität seiner Mannschaft in fünf Minuten eintausend Morde. Abgesehen von Kriegshandlungen war dies wahrscheinlich das größte Verbrechen in der Weltgeschichte, das je von einem einzelnen Mann begangen wurde. Dieses Verbrechen betrachtete jedoch Kapitän Notaras, ob mit Recht oder Unrecht, als Kriegshandlung. Sicherlich war er es seinem Namen schuldig und der Erinnerung, die sich mit diesem verband.
In Griechenland rühmten sich die Notaras, einer sehr edlen und alten Familie anzugehören, obwohl nicht genau feststand, ob nicht lediglich eine Namensgleichheit vorlag. In der Kajüte des Kapitäns zeigte ein Portrait einen Mann von hohem Wuchs, mit dunklen Augen und einem energischen Blick. Er hatte eine ziselierte Rüstung an. Der goldene Helmstutz war mit weißen Federn geschmückt. Dieser Mann war Luc Notaras, Großherzog und Großadmiral von Byzanz, Kommandant der letzten christlichen Galeeren bei der Einnahme von Konstantinopel durch den Großen Türken Mohammed. Er war dem Gemetzel entgangen, aber von Janitscharen gefangengenommen worden. Man führte ihn zusammen mit zweien seiner Söhne vor Mohammed. Es waren zwei sehr schöne Jünglinge, »von dieser griechischen Schönheit«, wie der Historiker Doukas schrieb, »die jahrhundertlang Künstler und Dichter inspiriert hatten«. Der Große Türke hatte Geschmack an jungen Menschen, besonders an den beiden Söhnen Notaras. Aber er wollte – seltsamerweise mitten in der Stadt –, daß sie ihm von ihrem Vater auf einem großen, seidenen Bett angeboten werden. War dies die Laune eines Ästheten? Oder verband sich dahinter reine Wollust? Inmitten der Wächter weigerten sich die drei Notaras. Die beiden Jungen wurden vor ihrem Vater sofort enthauptet, dann bot der Großadmiral selbst seinen Kopf dem Henker …
Seitdem haben all die vielen, die in Griechenland den Namen Notaras tragen, diesen dreifachen tragischen Tod unauslöschlich im Gedächtnis behalten. Es ist merkwürdig, daß man den Namen Notaras am häufigsten außerhalb Griechenlands antrifft, so in den griechischen Kolonien von Smyrna, Damaskus, Alexandria, Istanbul, am Schwarzen Meer und auf Cypern, als ob bei den Notaras, auch bei solchen zweifelhafter Abstammung, eine gefährliche Vorliebe zurückgeblieben wäre, auf einem Vorposten der Christenheit zu leben. Im Krieg gegen die Türken 1922 befand sich in der griechischen Armee in Kleinasien ein Oberst Notaras und auf Cypern ein Partisanenführer gleichen Namens. Beide waren für begangene Grausamkeiten die Verantwortlichen. Kapitän Luc Notaras, der Kommandant des griechischen Frachters »Insel Naxos«, war also nur einer auf der unendlichen Namensliste.
Mit dem Blick auf das Meer zu seinen Füßen klammerte der junge Offizier seine Hände um das Geländer auf der Kommandobrücke und schaute entsetzt auf die zerfetzten Körper, welche durch die infolge der Geschwindigkeit im Wasser entstandenen Wirbel wie Bälle gegen die Schiffswandung geschleudert wurden.
»Ich war wie hypnotisiert«, erzählte der Steuermann, »und hatte den Eindruck, einen riesigen Sturmpanzer zu fahren und unter meinen Raupen eine kauernde Masse zu zermalmen. Ich hoffe, daß diese Menschen einen schnellen Tod gefunden haben, bevor sie von den Schiffsschrauben erfaßt wurden. Ich habe nicht rückwärts geschaut. Meine Kameraden sagten mir, daß im Kielwasser Fetzen blutigen Fleisches aufgetaucht seien. Während der fünf Minuten, die das Ganze gedauert hat, ist das Schiff keinen Daumen breit vom Kurs abgewichen. Ich kann mir das nicht erklären. Ich habe mit allen Kräften versucht, den Kurs nach rechts zu drücken. Es war schrecklich. Von Zeit zu Zeit sah ich den Kapitän an und wartete auf seinen Zuruf ›genug‹. Aber nein, er blieb unbewegt, mit großen offenen Augen, und lächelte …«
Natürlich verursachte der Vorgang großes Aufsehen. Ein Schiffbruch und gleichzeitig ein Gemetzel? Das war zuviel für den nervenschwachen Westen! Mit dem Bericht einer Marseiller Tageszeitung, der sofort von der ganzen französischen Presse und den führenden westlichen Blättern übernommen wurde, ging die Erzählung des
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