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Das Heerlager der Heiligen

Das Heerlager der Heiligen

Titel: Das Heerlager der Heiligen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Raspail
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schwerer Sturm über das Mittelmeer ging. Hätte sich die Armada nur um wenige Stunden verspätet, wäre sie mit Mann und Maus untergegangen. Vielleicht ist dies eine Erklärung?
    Die Welt erfuhr von dem Schiffbruch etwa vierzehn Tage später. Da die Flotte keine Funkgeräte besaß und außerdem auch von niemand Hilfe angefordert hätte, wäre auf diesem Weg auch nichts bekannt geworden. Aber ein betrunkener, griechischer Matrose, der in Marseille in einer Hafenkneipe allein an einem Tisch saß, und ein eifriger Journalist, der durch Zufall hinzukam, brachten den Stein ins Rollen. Der Journalist sprach griechisch, weil er ebenfalls Grieche war. Als in Griechenland die Militärs regierten, war er zusammen mit Musikern, Schauspielern und heute schon vergessenen Schriftstellern freiwillig ins Exil gegangen. Er hatte zunächst Erfolg, aber dann war Griechenland nicht mehr Mode. Andere Unterdrückte traten bei seiner Zeitung an seine Stelle, denn um den Begriff Unterdrückung in der Öffentlichkeit lebendig zu erhalten, muß man flexibel sein. An diesem fraglichen Tag bot sich ihm Gelegenheit, sich zu revanchieren, und er nahm sie wahr. Die sich ergebenden Folgerungen gehören ebenfalls zum Kapitel Erklärungen.
    »Auf dem Meer waren Tausende«, schluchzte der griechische Matrose mit starrem Blick in sein Glas. »Alle Schwarzen waren weiß gekleidet. Viele lebten noch, das kann ich bezeugen! Wir sind mit fünfundzwanzig Knoten immer gerade aus, mitten hindurch gefahren!« Er machte eine ausladende Bewegung. Sein Arm fuhr über den Tisch und fegte sein Glas weg, das auf dem Boden zersplitterte. Trotz des Lärms in der Kneipe hatte der Journalist den Satz aufgefangen. Er war, bestürzt über die Ungeheuerlichkeit dieser Enthüllung, näher gekommen und bat nun um weitere Angaben. Kurz entschlossen nahm er den Matrosen mit in seine Wohnung, wo er für seine Ernüchterung sorgte. Dann bewirtete er ihn und brachte ihn zum Sprechen. Offensichtlich hatte der Mann von seinen Offizieren strengste Schweigepflicht auferlegt bekommen. Aber wahrscheinlich war er bestochen worden. Indessen schien nach dem furchtbaren Geschehen, bei dem er gleichzeitig Zeuge und Mittäter war, sein Gewissen völlig erschüttert gewesen zu sein.
    Inzwischen hielt der Matrose, ein Steuermann, sein Glas wieder fest in der Hand. Aus seiner Erzählung ging hervor, daß der griechische Frachter »Insel Naxos« unter Kapitän Notaras mit einer Ladung Edelhölzer von Colombo durch den Suezkanal nach Marseille unterwegs war. Als er auf halbem Weg, zwischen Ceylon und Sokotra den 10. nördlichen Breitengrad passiert hatte, stieß er auf einen Schiffbrüchigen, der bei Annäherung des Schiffes gerade wieder zu sich gekommen zu sein schien, denn er hob schwach den Arm, als ob er um Hilfe rufen wollte. Das Meer war glatt, und es war windstill. Der Kapitän ließ das Schiff halten und gab Befehl, ein Boot abzusetzen. Als der Wachoffizier mit dem Fernglas den Unglücklichen beobachtete, sah er plötzlich zahlreiche Leichen um ihn herumschwimmen. Der Kapitän nahm nun ebenfalls das Glas zur Hand und entdeckte weit draußen auf dem Meer eine Unzahl von Körpern, bei denen nicht zu erkennen war, ob sie noch lebten.»Das sind Leute vom Ganges«, sagte er. Er rief das Boot zurück, auf dem man schon Davits heruntergelassen hatte. Dann ließ er langsame Fahrt nach rückwärts machen. Als der Schiffbrüchige sah, wie der Frachter sich entfernte, schloß er ohne einen Laut die Augen und ließ sich abtreiben.
    »Kapitän!« fragte der Wachoffizier, »geben Sie ihn auf?« Er war ein ganz junger Mann. Blaß vor innerer Bewegung standen ihm die Tränen nahe.
    »Sie kennen die Befehle«, antwortete Kapitän Notaras. »Sie sind bindend. Wenn wir alle diese Leute aufnehmen, dann frage ich Sie, was wir mit ihnen machen sollen. Ich habe Holz zu transportieren. Sonst nichts. Ich bin nicht beauftragt, diese europäische Invasion zu fördern.«
    Der junge Offizier fing an zu weinen. »Sie verurteilen jene zum Tode, Kapitän. Dazu haben Sie kein Recht!«
    »Aha, das glauben Sie«, sagte der Kapitän. »Nun, Sie täuschen sich.« Mit einem Griff signalisierte er »Volldampf voraus« und rief durch das Maschinenraumtelefon: »Höchste Geschwindigkeit bitte!« Dem Steuermann befahl er: »Im Ruder bleiben. Und wenn Du einen halben Grad abweichst, lasse ich Dich wegen Meuterei auf hoher See in Ketten legen!«
    Im Ruder bleiben heißt immer geradeaus fahren. Und geradeaus unter dem Bug des mit

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