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Das Heerlager der Heiligen

Das Heerlager der Heiligen

Titel: Das Heerlager der Heiligen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Raspail
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verrostete Passagierdampfer mit beschädigten Kaminen. Es waren die INDIA STAR und die KALKUTTA STAR, deren Silhouetten allen Marinestationen und Flughäfen der westlichen Welt bekannt waren. Das schöne Wetter hielt an. Auf dem seltsam ruhigen Ozean schien nichts den unaufhaltsamen Vormarsch der Gangesflotte zu bedrohen. Ohne es sich erklären zu können, war man über die Änderung der Route erstaunt, die nach den bisherigen Berechnungen, unter Zugrundelegung einer mittleren Geschwindigkeit von zehn Knoten, etwas ostwärts der Insel Sokotra, einem vorgeschobenen Punkt in Höhe des Golfs von Aden, hätte verlaufen müssen.
    Obwohl die ägyptische Regierung die Nachricht geheim hielt und weder in der Presse noch in den Staatskanzleien etwas durchsickerte, hatte sie sich eingeschaltet. Sie tat es allein, ohne die arabischen Partner zu fragen und ohne die internationalen Organe oder die ausländischen Regierungen zu unterrichten. Es geschah in einer Atmosphäre der Verschwörung und panikartiger Furcht. Allein der Gedanke, daß eine Million Einwanderer im letzten Grad der Verzweiflung infolge eines Navigationsfehlers oder auch durch ein eventuelles Eingreifen westlicher Mächte im Suezkanal blockiert werden könnte, versetzte die Minister in Schrecken. Man kann sie verstehen. Das arme Ägypten hat lange Zeit seine Elastizität bewiesen. Aber jetzt etwas Unmögliches auf sich zu nehmen? … Diplomatisch, politisch, wirtschaftlich undenkbar.
    In aller Heimlichkeit und in der größten Verwirrung wurde dem letzten noch brauchbaren ägyptischen Torpedoboot, das aus dem Krieg mit Israel übrig geblieben war, Befehl erteilt, sich der Armada entgegenzustellen und sie zu einer Kursänderung zu bewegen. »Wie soll ich es anstellen?« fragte der ägyptische Admiral. »Soll ich meine Geschütze einsetzen, wenn es nötig wird? Und gegebenenfalls, wo ist die Grenze des bewaffneten Einsatzes?« Die Antwort war ebenso kurz wie zweideutig. »Sie haben freie Hand, Allah möge Sie führen! Gute Reise!« Die Minister wollten sich offenbar nicht in Einzelheiten einlassen. Und, hätten sie es überhaupt können? Man darf jedoch daraus nicht schließen, daß die ägyptischen Minister leichtfertig sprachen. In dieser außergewöhnlichen Angelegenheit, wo in jedem Augenblick der göttliche Wille mitspielte, vertrauten sie als gläubige Moslems ihrem Allah. Und Allah erhörte sie. Wer weiß, was entstanden wäre, wenn die westlichen Völker unter den gleichen Umständen sich namentlich an Gott gewandt und die Kirchen belagert hätten wie in den gesegneten Jahrhunderten, als Pest und Invasionen den Glauben stärkten.
    Der Zusammenstoß fand etwa sechshundert Kilometer ostwärts Sokotra statt. Er war kurz. Der Admiral, der in einer Ecke der Kommandobrücke stand und betete, sah die ersten Rauchfahnen der Flotte am Horizont auftauchen, nachdem schon zuvor ein entsetzlicher Gestank auf dem Meer ihr Erscheinen ankündigte. Mit der Höchstgeschwindigkeit, welche Maschinen nach fünfundzwanzig jähriger Dienstzeit und drei verlorenen Kriegen noch hergeben konnten, jagte das ägyptische Torpedoboot auf die Flotte zu. Dann machte es in Höhe der INDIA STAR einen weiten Bogen, und da man eine Nachricht durchgeben wollte, fuhr es mit gedrosselter Kraft längsseits des Flußdampfers heran. Es war Mittag. Die Sonne brannte an einem wolkenlosen Himmel. Es war heiß wie in einem Backofen. An Bord der INDIA STAR döste die Menge schläfrig dahin. Nichts schien sie aus ihrer Mittagsruhe reißen zu können, es sei denn die Ankündigung des versprochenen Paradieses. Jedoch der Anblick der ägyptischen Matrosen mit ihrer dunklen Haut und ihren schwarzen Haaren und Augen verhieß keineswegs das weiße Paradies. Einige Passagiere hoben den Kopf hoch, ließen ihn aber gleich wieder fallen, um weiterzuschlafen. Zwei oder drei Kinder winkten für einen Augenblick.
    Die Ägypter blickten indessen wie gebannt auf die Kommandobrücke. Dort saß auf den Schultern eines Riesen ein häßlicher Zwerg mit einer goldbetreßten Mütze auf dem Kopf und bewegte seine verkrüppelten Arme ohne Hände. Für die Matrosen war Elend nichts Neues und Verkrüppelungen ein häufiges Bild auf dem Land und in den Städten Ägyptens. Aber plötzlich dachten sie daran nicht mehr. Das Elend da oben, das in dem schrecklichen Gesicht der Mißgeburt zutage trat, hatten sie in den schlimmsten Zeiten des gequälten und verwöhnten Ägypten nicht erlebt. Hier waren dunkle, höhere und

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