Das Heerlager der Heiligen
mit gebrochener Stimme das Volk ins Bett und dankte herzlich, daß er nicht enttäuscht wurde, denn er hielt sich für das Gewissen der Franzosen, was leider wahr war! Auf dem Bildschirm erschien dann der glückliche Gewinner, Herr Poupas Stéphane-Patrice, ein Frisör aus Saint-Tropez. Sein Leitspruch war: »Es gibt keine Hindus mehr, es gibt keine Franzosen mehr. Es gibt nur noch Menschen, und darauf allein kommt es an.«
Bravo! Das nennt man denken! Armer Blödel! Am Ostermontagmorgen wird Herr Poupas Stéphane-Patrice zitternd vor Angst, so daß er nicht einmal den Zündschlüssel in sein Auto zu stecken vermag, zu Fuß aus Saint-Tropez flüchten. Auf der Straße nach Norden wird er nach zwanzig Kilometer zusammenbrechen, und über seinen Körper werden Tausende von Kraftwagen achtlos hinwegrollen, geführt von Tausenden Franzosen in heller Panik, für die es noch zwei Wochen vorher »nur noch den Menschen gab (mit einem großen M geschrieben), auf den es allein ankommt« …
Marcel und Josiane gingen erschöpft ins Bett. Sie hatten alles erlebt, sind durch ganz Paris gerannt und haben für ihre zwei silbernen Fünffrancstücke, die sie in das Fahnentuch warfen, hundert Stars die Hand drücken können. Nachdem jetzt die Ruhe eingekehrt, das Fernsehen stumm und das Licht ausgelöscht war, lagen sie unbeweglich und nachdenklich da und waren verwundert, daß sie keineswegs zufrieden waren. Zuviel Lärm! Zuviel Rummel! Zuviel Gerede! Zuviel Liebe, die da wie Honig über berühmte Lippen floß! Ist man etwa zu weit gegangen? Wird bei dem täglichen Genasführtwerden und bei dem Wald von Lügen und Illusionen das gesunde Volksempfinden den verschütteten Weg wiederfinden? Nicht ganz. Josiane und Marcel rücken aneinander und warten auf den Schlaf. Ohne daß sie es sich erklären können, kommt in ihnen ein Gefühl der Panik hoch.
In Sao Tomé salbaderte Herr Poupas Stephane-Patrice in Gesellschaft fröhlicher Milliardäre für die Presse. Zum zwanzigsten Mal schon wiederholte er: »Es gibt keine Hindus mehr und keine Franzosen. Nur der Mensch zählt!« Man klatschte Beifall. Er fuhr fort. »Es gibt keine Engländer mehr und keine Schweizer.« Er war wie verzückt. Léo Béon küßte die Hand der Prinzessin. Vor den Zelten, die überall am Rand des Flugplatzes standen, sagte er sogar: »Dies ist das Lager der goldenen Herzen.«
Diese Floskel wurde von zwanzig Sonderberichterstattern übernommen. Die Förderer der Nächstenliebe beglückwünschten sich. Man einigte sich auf ein gemeinsames Abzeichen, ein gelbes Stoffstück in Form eines Herzens. Fünfhundert gelbe Herzen wurden auf fünfhundert Brustseiten aufgenäht. Am nahen Ufer suchten geheime Beobachter mit dem Fernglas den Horizont ab oder stritten sich mit Phantasiepreisangeboten um die noch wenigen freien Fischerboote. Die Kommission von Rom hatte alle Motorboote beschlagnahmt. Nun wartete man ab. Die Stimmung war angeheizt. Dominikaner und Pastoren beschlossen einen gemeinsamen Gottesdienst. Die Schwarzen in Sao Tomé machten, ohne es zu wissen, in Ökumene. Als die englische Popgruppe Choräle improvisierte, bewegten sie ihre Hintern hin und her. Poupas Stéphane-Patrice las Evangelien vor. Nach Aufforderung, sie auszulegen, endete er mit dem Spruch: »Es gibt keine Hindus mehr, es zählt nur noch der Mensch.« Die Menge sang: »Aus dem Holz des Kreuzes bauten sie ein großes Schiff, denn die Zeit der tausend Jahre ging in Erfüllung, es erfüllte sich die Zeit der tausend Jahre.« Ein Methodistenpfarrer, für den die heilige Hostie nur ein Symbol war, spendete dem alten Herzog, der Prinzessin und den meisten anwesenden Katholiken die Kommunion. Alle Herzen erhoben sich zu Gott. In den lächelnden Gesichtern standen Tränen. Unter der Hitze des Äquators schwoll die Rührung wie eine fette Frucht an. Als ein Beobachter am Stand rief, »da ist die Flotte, die Armada!«, antworteten alle wie mit einer Stimme »Deo Gratias!«
Was jetzt folgte, lastete wie ein Alpdruck oder wie ein schlechter Traum auf allen. Das ersehnte Treffen fand zwei Meilen von Sao Tomé entfernt auf dem Meer statt. Es war sofort erkennbar, daß die Gangesflotte keinerlei Absicht zeigte, zu stoppen. Man sah sogar, daß die INDIA STAR eines der Versorgungsschiffe zu rammen versuchte. Die Malteserritter verdankten ihre Rettung nur der Geistesgegenwart ihres Steuermanns, der, um nicht unter den Vordersteven des Dampfers zu kommen, sofort rückwärts fuhr. Der alte Herzog glaubte für einen
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