Das Heerlager der Heiligen
Medikamente und keine Schachtel Nautamine-Bonbons!« Was für eine großherzige Frau. Immer ist sie da, wo es um Leiden geht. Nun eilte sie herbei und stürzte sich auf »die armen Kleinen«, wie ein Safaribesessener auf das Wild. Jetzt wußten wenigstens die rührenden Herren, warum sie kämpften: für mehr Nächstenliebe, für mehr Malteserorden! Für acht Jahrhunderte Tradition und zur Rettung einer Kaste. Ein Grund, der es wohl wert war, zu kämpfen, lieber Georg! Einfältige und Närrische sind das Salz der Menschlichkeit. Wenn davon noch etwas übrig bleibt.
Da stand noch so ein närrisches Flugzeug. Es ist mit Blumen und Hindusprüchen bemalt wie das 2 CV-Auto eines Hippie aus der Vorstadt. Es ist eine zweimotorige Maschine einer englisch sprechenden Gruppe von singenden Milliardären, die ihre Kisten selbst ausluden. Eine unwahrscheinliche Ladung. »Andere bringen Leben, wir bringen Freude!« sagten sie, als sie London verließen. Am Rand des Flugplatzes von Sao Tomé lagen zwei Kisten mit Spielen und Scherzartikel, eine Harmonika, fünfzig indische Sitaren, Plattenspieler, Parfüm für die Frauen, Weihrauch, dreißig Kilo Marihuana, Schokolade der Londoner Firma Candies & Co., eine Kiste mit erotischen Bildersammlungen, eine weitere mit bunten Bändern und einem vollständigen Feuerwerk, dazu eine Gebrauchsanweisung in indischer Sprache mit der Aufschrift »Abschießen angesichts der europäischen Küste?« Die Helden liefen glückstrahlend von Kiste zu Kiste. War es krankhaftes marktschreierisches Angebertum, in Pubs entstanden, oder wohlüberlegtes Tun? Man erfuhr nie, was sie bewogen hat. Die westliche Welt hatte sehr bald andere Sorgen. Aber eine kleine Geschichte muß noch zu dieser Flugzeugattraktion erwähnt werden.
Ziemlich zuletzt landete auf dem Flugplatz von Sao Tomé ein vierstrahliges Düsenflugzeug der Air France, beflaggt mit den Farben der französischen Rundfunk– und Fernsehanstalt. Ah! Von diesem Flugzeug hatte man viel geredet. Reise und Ladung sind an einem Abend finanziert worden. Es war eine tolle Veranstaltung. Ein Massenrausch. Zweihundert Personen, Sänger, Musiker, Schriftsteller, Schauspieler, Schikanonen, Modeschöpfer, Play-Boys, Tänzerinnen und sogar ein Modebischof, der in der Faubourg Saint-Germain geheiratet hatte, rannten lärmend wie bei einer Zirkusparade durch die Prachtstraßen von Paris und der Provinz. Bataillone von hübschen Mädchen begleiteten sie. Sie sammelten nach patriotischer Art, in dem sie eine Trikolore horizontal ausspannten und als Sammelbüchse benutzten. Seit dem 14. Juli 1789 hat man sich in den Straßen von Paris nicht mehr so amüsiert. Im einzigen Programm der drei Kanäle des Fernsehens und der fünf Kanäle des Rundfunks entfaltete der schöne Léo Béon, der geniale Schauspieler und das Idol aller Lebenden, sein höchstes Können.
»Die Regierung unseres Landes sendet ihre eigenen Flugzeuge nach Sao Tomé. Das ist normal. Das ist gerecht. Aber zu dieser etwas nüchternen Gerechtigkeit gehört noch die Solidarität und die Liebe der Menschen. Wir, das französische Volk, werden nach Sao Tomé das Flugzeug des Volkes entsenden! Zwei Stunden stehen uns zur Verfügung, um es zu finanzieren. Und zwei Stunden, um zu zeigen, wer wir sind. Zu euerem Obulos, und wenn er noch so bescheiden ist, fügt ein Kärtchen bei, in welchem ihr in nicht mehr als zehn Zeilen eure Gefühle zum Ausdruck bringt. Der Verfasser des besten Kärtchens gewinnt eine Reise nach Sao Tomé (der Wortschatz des wunderbaren Léo Béon begleitet ihn!) und darf den Menschen vom Ganges persönlich die Sammlung eurer besten Texte übergeben, die wir zuvor übersetzen lassen. Geben ist gut. Aber sagen, warum, ist besser.«
Schluß mit dem Beifall! Es war ein Triumph. Eine Million Menschen auf den Straßen. Hundert Stadtzentren verstopft. Léo Béon bediente seine zehn weißen Telefone: »Ja! Die Bastille? Das ist ja herrlich. Man drängt sich? Man zertrampelt einander? Großartig! Das Herz von Paris schlug immer bei der Bastille! Hallo, Marseille? Die Canebière übervoll? Wunderbar! Das Herz von Marseille schlug immer gleichmäßig!« Als der schöne Léo an seinen Telefonen etwas Ruhe hatte, las er am Mikrophon einige der besten Texte vor. Er weinte dabei. Das Ungeheuer vergoß heiße Tränen. In seiner Mansarde weinte auch Machefer. Aber vor Lachen!
Um zehn Uhr abends war alles vorbei. Frankreich bleibt sich immer gleich. Léo Béon, der fünf Kilo abgenommen hatte, schickte
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