Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Heerlager der Heiligen

Das Heerlager der Heiligen

Titel: Das Heerlager der Heiligen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Raspail
Vom Netzwerk:
Nehmen Sie ein paar Tage Urlaub und gehen Sie dann zu ihrem Schiff nach Toulon zurück. Selbstverständlich zu niemandem ein Wort.«
    »Glauben Sie mir, dies erlebt zu haben, genügt mir. Ich habe keinerlei Verlangen, darüber zu sprechen. Einer der beiden Matrosen hieß Marc de Poudis. Er war mein Sohn.«
    Der Kommandant ging hinaus.
    »Was halten Sie davon, Herr Perret?«
    »Bevor der Kampf beginnt, haben Sie schon keine Marine mehr. Und da schon seit langem die Etappe Sie im Stich gelassen hat, bleibt nur noch die Armee übrig. Vielleicht besteht eine Hoffnung, wenn man die Regimenter der Berufssoldaten zusammenfaßt.«
    »Berufssoldaten! Berufssoldaten! Sie haben doch das Ergebnis gesehen?«
    »Man kann immer noch zehntausend Mann finden, die nicht absolut geneigt sind, sich weich machen zu lassen. Es müssen sicher noch einige Bataillone Hartgesottene im Heer und in der Polizei da sein. Und außerdem wird die Konfrontation unter ganz anderen Bedingungen stattfinden. Wenn Sie feierlich und öffentlich den Zugang der Einwanderer vom Ganges verbieten, dann wird schon dadurch ihre Landung, ob bewaffnet oder unbewaffnet, einen Akt der Feindseligkeit darstellen. So wird es wenigstens die Armee sehen. Während ihnen auf dem Meer, auf ihren Schiffen noch nichts geschah, so werden sie jetzt einen Schritt zuviel gewagt haben.«
    »Glauben Sie das?«
    »Kaum, aber man kann es versuchen.«
    »Ich lasse Ihnen freie Hand, Herr Perret. Suchen Sie sofort den Generalstab auf. Entwerfen Sie Pläne. Wählen Sie die besten Korpskommandeure aus. Aber von all dem darf nichts in die Presse oder in die Öffentlichkeit durchsickern. Nach Schätzung des Admirals bleibt uns kaum noch eine Woche übrig. Halten Sie mich auf dem laufenden. Meine Tür ist für Sie Tag und Nacht offen …«

27.
     

    Am Karfreitag, um drei Uhr nachmittags, fuhr die Armada der letzten Chance durch die Straße von Gibraltar und drang ins Mittelmeer ein. Als die Küsten Europas unter der Sonne zutage traten, entstand auf allen Schiffen eine emsige Bewegung. Tausende von Arme schwangen wie ein Wald im Wind hin und her, während gleichzeitig ein langsamer, kräftiger Gesang wie eine Dankes- oder Zauberhymne zum Himmel emporstieg. Dieses Schauspiel dauerte bis Ostermontag.
    Am gleichen Freitag, genau um drei Uhr nachmittags, wurde das mißgeborene Kind auf den Schultern des Mistkäfers von einem Krampf befallen, wobei sich Rumpf und Armstümpfe krümmten. Der Anfall war so stark, daß die Mißgeburt wie leblos erschien. Ihr Kopf auf dem halslosen Körper neigte sich unmerklich. Auf unglaubliche Weise wurde der Vorgang von der ganzen Flotte wahrgenommen. Sofort ertönte von allen Brücken ein triumphaler Gesang. Das Phänomen der Starrsucht.
    In der ersten Minute des Ostersonntags werden neunundneunzig Vordersteven sich krachend in den Sandstrand und die Felsen der französischen Küste bohren. Dann wird die zwerghafte Mißgestalt aufwachen und einen gewaltigen Schrei ausstoßen. Der alte Herr Calguès in seinem Haus auf den Hügeln wird ihn deutlich hören. Er wird sich bekreuzigen und vor sich hinsagen: »Vade retro, Satanas …«

28.
     

    Die Kunde von der Durchfahrt durch die Straße von Gibraltar ging sofort durch ganz Europa. Spanien bekam den ersten Schock zu spüren. An diesem Karfreitag zogen wie immer die bekannten Prozessionen durch die Straßen aller spanischen Städte. Sie wurden nur noch von dem traditionellen, folkloristischen und stets buntem Schauspiel überboten, das neben anderem die Büßer in Mönchskutten, die Militärmusik und verkleidete Pfarrer, die früher einmal Pfarrer waren, lieferten. Und alles zu Nutz und Frommen der Fremdenverkehrsvereine. Man führte Kinder mit und machte Fotos, aber nur einige alte Frauen beteten und sanken an den Kreuzstationen auf die Knie.
    Als an diesem Karfreitag die Nachricht von der Durchfahrt über alle Sender verbreitet wurde, bekamen die Prozessionen merkwürdigerweise neuen Antrieb. Dies dauerte nicht lange, aber die Menschenmenge sang die alten Litaneien, und diejenigen, welche die lateinischen Worte vergessen hatten, summten der Spur nach mit. In den gefalteten Händen der schwarzen Büßer sah man Perle für Perle der Rosenkränze durch die zitternden Finger gleiten. Dann leerten sich die Straßen schnell. Jeder ging nach Hause und schloß die Fensterläden. Dann saßen die Familien um die Funk– und Fernsehgeräte. Man hörte Bischöfe zur Wohltätigkeit aufrufen. Die an der Macht befindlichen

Weitere Kostenlose Bücher