Das Heerlager der Heiligen
Kommandant?«
»Schlecht, Herr Präsident! Sehr schlecht! Ich hatte ein nicht zu großes und nicht zu kleines Schiff ausgesucht, ein altes, namenloses Torpedoboot, das unserer Mannschaftsstärke entsprach. Ich dachte, daß ein ausrangiertes Kriegsschiff besser geeignet sei und unsere Matrosen weniger verunsichern würde. Auf diesem Schiff waren etwa zweitausend Menschen. Mein Prisenkommando bestand aus zwei Motorschaluppen mit drei Offizieren und vierzig für den Nahkampf bewaffneten Männern. Abgesehen vom Fall einer notwendigen Selbstverteidigung war es verboten, jemand zu töten oder zu verletzen. Ich bin übrigens sicher, daß die Männer einen solchen Befehl verweigert hätten. Eine Minute lang glaubte ich, die Partie gewonnen zu haben. Alles lief zunächst wie geschmiert. Sie haben am Fuß der Kommandobrücke sofort einen Brückenkopf von etlichen Quadratmetern gebildet. Die Menge war zurückgewichen und hat zugeschaut. Als aber meine Männer auf die Türen und Treppenluken zugingen, die zur Kommandobrücke und zum Maschinenraum führen, hat sich die Masse sofort zusammengeschlossen, ›wie eine Mauer aus Fleisch‹, wie einer meiner Offiziere berichtete. Man hat dann aus den Haufen ein paar gepackt, um sich einen Weg zu bahnen. Vergebliche Mühe. Man hätte dreitausend Arme gebraucht, um bei dieser Menschenmenge etwas zu erreichen. Der Kommandeur des Prisenkommandos ließ die Gewehre in Anschlag bringen und forderte die Menge zum Rückzug auf. Diese Sprache versteht jeder. Aber der Haufen ist keinen daumenbreit gewichen. Vor den Mündungen der Maschinenpistolen standen zahlreiche Kindergesichter mit großen offenen Augen, die nicht einmal Furcht zeigten.
Die Mannschaft schien den Inhalt ihres Auftrags voll erfüllt zu haben, denn sie war über die Grenze des Möglichen hinausgegangen. Es bedurfte nur noch des Schießbefehls. Natürlich sollte über die Köpfe hinweggeschossen werden. Dennoch war ein Risiko dabei, Herr Präsident (der Kommandant lächelte etwas traurig), Sie können auf Ihre Kriegsmarine stolz sein. Gut ausgebildet und diszipliniert. Eine hübsche Marine auf Verabredung. Aber eine Verabredung spielt sich zu zweit ab, unter Vertrauten, die sich verstehen. Die Menschen vom Ganges können nicht spielen. Nicht einmal der Beginn einer Panik, aber auch kein Zurückweichen. Im Gegenteil. Die Fleischmauer rückte vor und hat sogar mein Prisenkommando eingeschlossen. Meine Männer mußten sich mit Fußtritten, Fäusten und Gewehrkolben gegen Leute wehren, die nicht kämpften, sondern einfach nur schoben und drängten. Zweitausend drängten vor. Gegen dreiundvierzig. Diejenigen, die von den Unsrigen niedergeschlagen worden sind, wurden sofort von der Menge weggezogen und durch andere ersetzt. Um da standzuhalten, hätte man wirklich schießen und die Gegner töten müssen. Wie durch ein Wunder konnte sich das Kommando wieder einschiffen. Zwei Mann fehlten, zwei Matrosen. Ihre Körper hat man uns ausgeliefert. Man hat sie über Bord geworfen. Keine Verletzung durch Messer oder Dolch. Keine Würgemerkmale. Einfach tot getrampelt. Opfer durch Unbekannte, oder vielmehr durch eine Menschenmenge, was auf das Gleiche herauskommt. Ertrunken in einem Meer von Fleisch und Knochen. Ich habe nichts mehr hinzuzufügen, Herr Präsident, höchstens noch, daß Sie nicht mehr mit dem Begleitschiff 322 rechnen können. Von nun an ist es nur noch ein krankes Schiff, ein Körper ohne Seele.«
»Und sein Kommandant?«
»Ist kaum mehr wert, Herr Präsident. Ich werde verrückt, wenn ich daran denken muß. Es gibt nur eine Alternative. Entweder jene Menschen bei uns aufnehmen oder ihre Schiffe versenken. In der Nacht, wenn man die Gesichter derer nicht erkennen kann, die man umbringt. Und dann fliehen und sie sterben lassen, ohne in Versuchung zu geraten, die Überlebenden retten zu wollen. Und am Ende sich eine Kugel in den Kopf jagen. Schnell und genau gezielt, nach erfülltem Auftrag.«
»Der Pilot von Hiroshima ist mit dreiundachtzig Jahren friedlich in seinem Bett gestorben.«
»Das waren andere Zeiten, Herr Präsident. Seitdem haben die westlichen Armeen das Wort Gewissensbisse gelernt.«
»Herr Kommandant«, fragte der Präsident, »wenn ich diesen Befehl erteilen würde, würden Sie ihn befolgen?«
»Ich habe lange darüber nachgedacht, Herr Präsident. Meine Antwort lautet: Nein. Ich meine, sie gehört zum Inhalt der ›Übung von psychologischem Charakter‹?«
»So ist es tatsächlich. Ich danke Ihnen.
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