Das Heerlager der Heiligen
linken Parteien wetterten im Namen der menschlichen Solidarität und der Weltbrüderlichkeit; die spanische Regierung sprach dagegen von Ruhe und Frieden. In allen Städten der Mittelmeerküste, Malaga, Almaria, Cartagena, Alicante, Valencia bis Barcelona waren die Ausfahrtstraßen voll mit Autos, überfüllt mit Kindern und Gepäck. Zwei Marschsäulen rollten durch Spanien, beide in entgegengesetzten Richtungen. Die eine bewegte sich zum Meer, der Gangesflotte entgegen, Aber das war nur eine geistige Strömung der Worte. Die andere, die lebendige, zog in das Innere des Landes. Am Freitagabend hörte sie auf zu fließen, denn die Flotte war draußen vorbeigezogen. Jetzt schwoll die Strömung der Worte mächtig an, wie bei einer Sintflut. Erst am Ostermontag hörte auch dies auf, als sicher war, daß Frankreich heimgesucht wurde …
Am gleichen Abend entdeckten andalusische Fischer des kleinen Dorfes Gata am Strand etwa zwanzig nackte Leichen. Sie hatten alle am Hals eine verknotete Schnur, mit der sie erdrosselt worden waren. Vielleicht bekamen die Fischer Angst und flohen, weil sie eine Epidemie befürchteten. Oder die Polizei, die den Strand überwachte, konnte in Gata nicht sofort tätig werden. Jedenfalls dauerte die Untersuchung recht lange, und es gab unerklärliche Verzögerungen. Bevor die spanischen Behörden etwas von sich hören ließen, bestellten sie zahlreiche Gerichtsmediziner, die sogar aus Madrid kamen. Dies alles nahm Zeit in Anspruch. Erst am Ostersonntagmorgen erfuhr man die Wahrheit. Die Leichen waren keine Hindus. Nach dem Gutachten der Gerichtsmediziner gehörten die meisten der weißen Rasse an, aber es waren auch drei Chinesen und ein Mulatte darunter. Einer der Weißen wurde durch ein Kettchen, das er am Handgelenk trug, identifiziert. Seine Mörder hatten sicher vergessen, es abzunehmen. Der Tote war ein Franzose, ein junger Mann, der als Laienmissionar und landwirtschaftlicher Berater in einem Dorf am Ganges tätig war. Auch er war an Bord gegangen und hatte die ganze Bevölkerung des Dorfes mitgenommen. Der letzte Weiße, der ihn im Büro des belgischen Generalkonsulats in Kalkutta gesehen hatte, war Konsul Himmans, ein paar Tage vor der Abfahrt der Flotte. Aber dies wußte niemand.
Das gleiche war auch mit dem Philosophen Ballan geschehen, der auf dem Kai des Ganges von der Menge ermordet wurde, und mit dem abtrünnigen Schriftsteller, der auf der Höhe von Sao Tomé erdrosselt und ins Meer geworfen wurde. Vor den Toren des Westens hatte die Armada sich der Verräter und Handlanger entledigt, nachdem sie ausgedient hatten. Sie hat sie ausgenutzt nach Art jener Besatzungstruppen, die eingeborene Hilfskräfte erst verwenden und irreführen und dann verurteilen und erledigen. Das ist ein klassischer Vorgang, bei dem die primitive menschliche Justiz immer auf die Rechnung kommt. Die Armada zeigte sich nur als lupenreine Rasse, die schon im voraus jeden Kompromiß ablehnt und gegen alle Illusionen gewappnet ist. Fremdenfeindlichkeit.
Dieses, einmal gesprochene Wort machte nunmehr in Schriften und Veröffentlichungen die Runde, denn die Gegner des Tieres hatten ihrer Stimme endlich Geltung verschafft. Am Mikrophon des Ost-Radio sprach am Ostersonntag Senconac an Stelle von Albert Durfort. Reibungslos und ohne Einmischung höheren Orts hatte sich dieser Wechsel vollzogen. Seit dem Vorabend war Albert Durfort nicht mehr im Studio zu sehen gewesen. Sein Telefon antwortete auch nicht mehr. Seine Freunde wußten nicht, was geschehen war. Der noch vor kurzem vom Publikum verehrte Zorro des Mikrophons verließ den Schauplatz, indem er sich schlicht mit seinem Gepäck und einigen Zehntausend Francs in Gold auf den Weg in die Schweiz machte. Er nahm auch seine junge Freundin aus den Antillen mit, auf die er viel hielt und die auch an ihm klebte. Sie war bei der Botschaft von Martinique beschäftigt und hatte, als er sie abholte, gerade das letzte Siegesfähnchen auf die Landkarte gesteckt. Da die Schweiz wie üblich heimlich mobilisiert hatte, wählte Durfort die Autostraße nach Süden in der Hoffnung, Genf vor der Schließung der Schweizer Grenzen zu erreichen. Er war indessen nicht der einzige, der an diesem Tag in die gleiche Richtung hastete …
Jetzt sprach Pierre Senconac, mit trockener, schneidender, ironischer, fast unangenehm wirkender Stimme:
»Es ist Zeit, sich an die Toten zu erinnern«, sagte er. »Ich will einen grüßen, der vor zwei Monaten für uns gestorben ist, nämlich den
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