Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das heilige Buch der Werwölfe

Das heilige Buch der Werwölfe

Titel: Das heilige Buch der Werwölfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
Vom Netzwerk:
Grund gab, sie zu lieben, war in diesem Moment noch offenbar, und jedes Mal überkam mich eine Welle von Mitleid, das in Zärtlichkeit überging. Diese Gefühlsanwandlungen wurden von ihr eingesogen wie Wein von einem Schwamm, und sogleich erblühte sie in einer Schönheit, die quälend war, die einen um den Verstand bringen konnte. Ein kurzer Blickwechsel, und alles war anders. Eine Minute zuvor hatte ich nicht begreifen können, wie diese im Grunde unschöne Frau mich hatte hinwegreißen können – und nun wollte mir nicht mehr in den Kopf wie ich an der magischen Kraft ihrer Züge auch nur einen Augenblick hatte zweifeln können. Und je länger ich in ihre Augen blickte, desto stärker wurde dieses Gefühl brachte mich an den Rand des Wahnsinns, des physischen Schmerzes; es war, als hätte sie einen Dolch in eine Ritze der Mauer gestoßen, hinter der ich Zuflucht gesucht hatte, und mit ein paar Bewegungen der Klinge das Mauerwerk so erschüttert, dass die Mauer einstürzte, und wieder stand ich vor ihr schutzlos und nackt wie ein Kind. Ich habe diese Metamorphose bis ins Letzte studiert, doch das Feuer; das meine Seele in Asche legte, lernte ich doch nicht zu verstehen.
     
    O weh, so ist es: Schönheit gleicht einem Feuer, sie verbrennt, macht verrückt mit ihrer Glut, verheißt dort, wohin sie ihr Opfer treibt, Beruhigung, Abkühlung, ein neues Leben – und all dies ist pure Täuschung. Das heißt, nein, es ist wahr – nur nicht für das Opfer, sondern für jenes neue Leben, welches an die Stelle des Opfers tritt, um genauso von diesem gnadenlosen Dämon verzehrt zu werden.
    Ich weiß sehr wohl, wovon ich rede. Dieser Dämon ist mir seit mehr als zwei Jahrtausenden zu Diensten, und wiewohl diese Geschäftsbeziehung schon so lange währt, fürchte ich ihn immer noch ein wenig. Der Dämon der Schönheit ist der stärkste aller Dämonen des Geistes. Er ist wie der Tod, doch er dient dem Leben. Und er wohnt nicht in mir, ich befreie ihn nur aus der Lampe an der Stirn des Betrachters, so wie Aladin den Geist aus der Wunderlampe, und wenn der Dschinn dann in seinen Kerker zurückkehrt, ziehe ich marodierend über das Schlachtfeld. Kein leichtes Los. Der Buddha des Westlichen Paradieses wird meine Taten schwerlich gutheißen. Aber was tun. Es ist der Werfüchse Schicksal.
    Und nicht nur das ihre. Auch das unserer kleinen Schwester, der Menschenfrau. Doch nur ein dumpfer, gefühlskalter Chauvinist wird ihr das zum Vorwurf machen. Denn die Frau ist durchaus nicht aus einer Rippe Adams geschaffen, das hat ein Kopist in seinem Eifer durcheinander gebracht. Die Frau ist aus der Wunde gemacht, die Adam bei Entnahme der Rippe entstand. Alle Frauen wissen das, offen zugegeben haben es meines Wissens nur zwei: Die eine war Marina Zwetajewa (was auch Eva dem Baum nicht verraten hat, das Geheimste – ich sag es dir: Ich bin nur ein – von wem? – arg gemartertes, ein im Unterleib wundes Tier) , die andere die Kaiserin Cixi, die es unglaublich fuchste, dem schwachen Geschlecht anzugehören. (Ihre diesbezügliche Äußerung zitiere ich hier nicht, weil sie erstens unanständig und zweitens eine idiomatische Redewendung und darum unübersetzbar ist.) Adam bekam seine Rippe zurück, und seither versucht er sie in die Wunde wieder einzusetzen – in der Hoffnung, sie könnte heilen und vernarben. Pustekuchen! Diese Wunde wächst niemals zu.
    Das Bild des Grafen Chermandois von der Klinge und der Mauer trifft es sehr schön. Wir Werfüchse tun tatsächlich so etwas: ertasten des Menschen verborgenste Saiten und spielen darauf mit Vorliebe den Walkürenritt , was das ganze Persönlichkeitsgebäude zum Einsturz bringt. Heutzutage ist das übrigens halb so schlimm. Die modernen Persönlichkeitsgebäude ähneln eher Unterständen – da kann nicht viel einstürzen, und sie zu erobern kostet wenig Mühe.
    Dafür ist die Beute aber auch geringfügig: Die Gefühle heutiger Augenzwinkerer sind seicht, ihre kleinen Seelenorgeln spielen den Flohwalzer und nichts sonst. Du entfesselst in diesem Menschen einen Wirbelsturm, so mächtig, dass er gerade noch hineingeht, und es bringt nichts ein als ein paar zerknitterte Hundertdollarscheine, bei denen du noch aufpassen musst, dass sie nicht bemalt, zerrissen oder – Gott behüte! – älter als Ausgabejahr 1980 sind. So sieht es aus.
     
    Wie angekündigt, rief Alexander nach zwei Tagen an.
    Ich schlief noch, als ich den Hörer abnahm, und wusste doch sofort, dass er es

Weitere Kostenlose Bücher