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Das helle Gesicht

Das helle Gesicht

Titel: Das helle Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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Joan. »Aber Gott helfe mir und Robert, wir werden nicht die Mörder über sie und ihre Kinder herbeiziehen.«
    Als die Kirchgänger wieder daheim anlangten, ging Joan mit Ite-ska-wih in das Blockhaus. Sie warf sich auf die Bank, vergrub das Gesicht, und zum erstenmal seit Roberts Tod schluchzte sie ohne Hemmung und ohne Aufhören.
    Unter solchen Vorzeichen verging die Woche, der Tag des Begräbnisses kam heran.
    Großvater und Vater Myer maulten, da ihr indianischer Nachbar und Cowboy ohne Angabe von Gründen der Arbeit fern blieb, auch nicht zum Essen oder Schlafen erschien. Sie begannen zu begreifen, daß ihre eigene Welt- und Lebensauffassung von der Hanskas doch meilenweit entfernt war. Nicht, daß die Routinearbeit mit den Pferden gelitten hätte. Bob ließ sich häufiger als sonst sehen, und Joan und Ite-ska-wih taten ein übriges. Es ging um das Prinzip, um die Ordnung; er hätte sich ja wenigstens entschuldigen können. Man mußte diese Woche des Versäumnisses wohl doch von seinem Lohn abziehen.
    In der Dämmerung des Sonnabends war Hanska wieder da. Er ging mit zum Essen, als ob nichts gewesen sei. Auch Familie Myer sagte kein Wort. Das Gesicht des Indianers hatte einen merkwürdigen Ausdruck; er wirkte nicht ansprechbar. Sobald die Schüsseln leer waren, verließ er mit Ite-ska-wih den Tisch.
    Die beiden gingen miteinander den Hang hinauf. Die Weiten und Tiefen des Himmels waren von Sternen erfüllt. Der Mond ging als Sichel am Himmel hin. Die Gestirne flimmerten, hartholzige, kurzwüchsige Kiefern zeichneten ihr Geäst im Nachtleuchten ab. Schatten lagen schwarz auf der Prärie.
    Hanska und Ite-ska-wih wußten, daß sie die Wiesen aufwärts gingen, über die Inya-he-yukan und Tashina oft miteinander gegangen waren. Oben auf dem Hügelkamm ließen sie sich nieder. Grillen zirpten. Schlangen verbargen sich. Hanska legte den Arm um Ite-ska-wihs Schultern.
    Sanfte Kühle hatte die stechende Hitze des Sommertages abgelöst und schmeichelte den Menschen und den Tieren.
    »Wir sind gerüstet.« Hanska sprach in dem leisen Ton, der in die Stille der Nacht hineinfließen konnte. »Sie kommen alle.«
    »Wir sind dabei, Hanska.«
    Die beiden jungen Menschen liefen den Hang wieder abwärts zu dem Blockhaus, das Zeuge von hundert Jahren Geschichte war und den Atem von Inya-he-yukan und Tashina in sich barg. Hanska und Ite-ska-wih glaubten ihn noch zu spüren, während sie miteinander auf der harten Bank unter wenigen Decken den Schlaf begrüßten.
     
    Es hatte sich die Frage aufgetan, ob man zur Versammlung reiten oder mit dem Wagen dorthin fahren solle. Eine unausgesprochene Erinnerung ließ Hanska an den Schecken und die Appalousastute denken. Es war einst ein prächtiger Anblick gewesen, wenn Joe Inya-he-yukan an der Spitze seines Clans, alle zu Pferde, zu einem gemeinsamen Ziel ritt und die Hufe im Galopp über die Wiesen donnerten.
    Hanska entschied sich für die Mustangs. Ja, Mustang konnte man noch sagen. Wild genug waren sie.
    Er selbst war indianisch gekleidet, so, wie er Inya-he-yukan auf dessen Todesgang begleitet hatte. Auch Ite-ska-wih trug ihr Indianerkleid. Sie ritt die Appalousastute, das einst grausam geschundene, unbeugsame Pferd, Hanska saß auf dem Schecken, Joan auf Roberts Grauschimmel.
    Der Galoppritt vor Sonnenaufgang setzte ein. Frisch wehte die Luft, griff in die Haare der Reiter, in die Mähnen der Pferde.
    Der zentrale Friedhof, dem es zuging, lag außerhalb der Agentursiedlung auf freiem Höhengelände. Die Reiter waren Stunden unterwegs. Sie ritten nicht auf der gepflasterten Straße, dieser grauen, plattgetretenen Schlange, wie Wakiya-knaskiya als Kind gesagt hatte, sondern stets über die Prärie. So sahen sie erst, als sie dem Friedhof schon nahe kamen, die große Menge der Menschen, die aus allen Himmelsrichtungen zusammenströmten. Sie kamen zu Fuß, zu Pferd und mit Wagen. Viele trugen ihre symbolträchtige traditionelle Kleidung, manche die Federkrone, die ihnen zukam. Alle Mienen in den braunhäutigen Gesichtern waren entschlossen und verschlossen. Hier gab es keine Angst und kein Zurückweichen. Nichts war zu hören als Geräusche der Wagen, Hufschlag, ein Wiehern. Die Menschen schwiegen; selbst die Kinder waren stumm. Das Schweigen, das über der großen Menge lag, hatte Kraft in sich; es war unheimlich. Die Killer und ihr Chief ließen sich nicht sehen. Kein Polizist war gekommen.
    Freunde, Verwandte und Bekannte erkannten einander, begrüßten sich aber noch nicht; das

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