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Das helle Gesicht

Das helle Gesicht

Titel: Das helle Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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eben um euren Stamm und das nicht zufällig«, sagte Rote Krähe, da sein Name gefallen war. »Ihr seid der Kern des Widerstandes. Hier in dieser Prärie sind wir miteinander im Ring gewesen. Hier schien alles zusammenzubrechen und im Blut zu ersticken. Hier sind wir wieder aufgestanden.«
    »Sind eure Ziele nicht bescheidener geworden und euer Erfolg nur im kleineren Kreis größer?« fragte Ron Warrior, der merkwürdige Lehrer, der als Geheimagent die ganze Welt gesehen hatte und als Erzieher der Vorschulkinder ein stilles Leben führte.
    »Das könnte man wohl sagen«, gab Hetkala zu.
    »Wenn ich nachdenke«, meinte Hanska, »scheint es mir so: Unser Ziel ist das Recht des Menschen, unser Recht als indianische Menschen. Wir haben heute nur ein Stück, nur einen Zipfel dieses Rechts verteidigt am Grabe eines Ermordeten, stellvertretend für viele Ermordete, nur in unserem eigenen Stamm. Aber wir alle sind gekommen, das ist neu, das ist mehr, das ist ein Anfang, etwas, was wachsen und gewaltig werden kann. Inya-he-yukan sagt heute zu uns: Ho-je! Steht nicht still.«
    »Laßt es uns so verstehen«, schloß Wasescha.
    Es wurde spät und später. Die beiden Lehrer und Krause machten sich auf den Heimweg. Beim ersten morgendlichen Verblassen der Sterne brachen auch die übrigen auf. Joan ging in ihre Dachkammer im Ranchhaus. Sie wollte allein sein. Wakiya-knaskiya, Elwe, Untschida und Rote Krähe blieben noch im Blockhaus zusammen. Die breite Wandbank bot Platz; Rote Krähe legte sich auf den Boden.
    Wakiya-knaskiya und Elwe waren umsponnen von Erinnerungen im Heimathaus der Kinder und Wahlkinder Inya-he-yukans. Wakiya zitterte am ganzen Körper. Elwe strich sanft über seine Schultern. Sie ängstigte sich um ihn und durfte diese Angst in ihrem Bewußtsein doch nicht aufkommen lassen, denn sie war es, die Wakiya Ruhe geben sollte, wenn das noch möglich war, ehe der epileptische Anfall kam.
    Wakiya war ein hochempfindliches, phantasiereiches Kind gewesen. Die Erwartung, daß die toten indianischen Krieger und die Büffel wiederkommen würden, hatte ihn durch des kranken Vaters Worte ganz erfüllt. Sie waren nicht wiedergekommen, auch nicht durch das Gebet des alten blinden Geheimnismannes in der Mondnacht. Der Schock hatte bei dem Kinde Wakiya die Epilepsie ausbrechen lassen. Er war Inya-he-yukan begegnet, der sein Traumbild wurde, und Inya-he-yukan liebte den überwachen Jungen und nahm ihn zu sich. Wakiya blühte auf; die Epilepsie schien sich zu verlieren, bis sie eines Tages bei einer Überbelastung der Nerven wiederkam. Seitdem war sie ihm geblieben, und er schwankte zwischen psychischen Höchstleistungen und schweren Zusammenbrüchen. Das Mädchen Tishunka-wasit-win, das er mit jugendlicher Inbrunst geliebt hatte, war den Weg des freiwilligen Todes gegangen. Elwe war sanft und liebevoll; er mochte sie, aber eine Tishunka-wasit-win war sie nicht.
    Wakiya hatte trotz seines Leidens, ebenso wie Hanska, vorzeitig das Baccalaureat gemacht und erhielt die Zulassung zu einem College, um Jura zu studieren. Er wollte seinem Volke auf diese Weise helfen. Ein Rechtsanwaltsbüro nahm ihn als Hilfskraft auf, so daß er sich nebenbei etwas verdienen konnte; ein Stipendium erhielt er nicht. Er hatte durch die Verbindung mit den Rechtsanwälten den verschleppten Kindern Joes und Queenies helfen können. Jetzt hatte er die Versammlung durchgestanden.
    Wakiya sah hager und sehr bleich aus. Ite-ska-wih war es im Tageslicht aufgefallen. In den vergangenen Monaten hatten ihm die Rechtsanwälte nahegelegt, sich eine ruhigere und weniger zeitraubende Beschäftigung zu suchen. Ein College-Stipendium gab ihm die Verwaltung nach wie vor nicht. Während des Kampfes um Harry und Mary, verfolgt von der schauerlichen Vorstellung des Mordes an Queenie Tashina, hatten sich seine Anfälle verschlimmert und waren wieder häufiger geworden. Im Büro verursachten sie einen Skandal.
    Wakiya wickelte sich in die Decke, er fror. Im Wachtraum sah er Inya-he-yukan, dessen unergründliche Augen.
    »Ein Dichter kann ich werden und Bäume pflanzen, meinte Inya-he-yukan«, Wakiya sagte es vor sich hin, während sein ganzer Körper schauerte. Elwe war froh, daß er noch sprechen konnte.
    »Es ist wahr«, antwortete sie ihm. »So hat er gesagt.«
    Ite-ska-wih war aufgestanden und leise herangekommen. Sie legte die Hände auf Elwe und auf Wakiya.
    »Wenn er es gesagt hat, so wird es wahr«, flüsterte sie. In der ersten Morgenhelle sah sie Wakiyas verfallenes

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