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Das helle Gesicht

Das helle Gesicht

Titel: Das helle Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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eine Bewegung im Saal, die den Vorsitzenden veranlaßte, zur Ruhe zu mahnen.
    Welche Anhaltspunkte es für das Entstehen derart mystifizierender Gerüchte über Killer gegeben habe, wollte der Anklagevertreter wissen.
    Mississ Carson war um die Antwort nicht verlegen: Zum Beispiel das nicht aufgeklärte Verschwinden von Personen wie Queenie King, die von ihrem Pflegesohn Hanska Bighorn auch bei den Verwandten in Kanada nicht angetroffen werden konnte – das Verschwinden des Robert Yellow Cloud, dessen wertvolles Pferd gesattelt herrenlos umherlief – der Überfall auf den Cowboy Percival – das erst nachträglich aufgeklärte Verschwinden des Pedro Bissonette und anderer; die Untätigkeit der Reservationspolizei gegenüber vermuteten Verbrechen.
    Kate Carson beherrschte das Spiel ihrer faltenreich gewordenen Züge, sprach in amtlich maßgebendem Ton und zögerte nicht, den President des Stammes, der solche Zustände duldete, mit einem vernichtenden Seitenblick zu bedenken. Rechtsanwalt Rencho konnte mit seiner Zeugin zufrieden sein.
    Die Wirkung auf den Richter war unverkennbar, wenn auch nur durch ein Zucken seiner Wangenmuskeln und Mundwinkel und wenigen Worten, mit denen er die Vorstellung von der Unordnung indianischer Verhältnisse charakterisierte, in denen es zu Kurzschlußhandlungen kommen konnte, ja kommen mußte.
    Ite-ska-wih kränkte sich über eine solche herabsetzende Beurteilung ihres Volkes, aber sie konnte den Gefühlen gedemütigten Stolzes und des Zornes über den Killerchief nicht nachhängen.
    James Laughlin ging zum Zeugenstuhl.
    Rencho begann zu fragen.
    »Mister Laughlin, Sie sind aus dem Polizeidienst auf eigenen Wunsch ausgeschieden…«
    Der Rechtsanwalt wurde durch einen Zwischenruf unterbrochen. »Bei Nacht und Nebel ist er aus dem Dienst davongelaufen!«
    Der Richter bat sich Ruhe aus.
    »… ausgeschieden«, wiederholte Rencho. »Was hat Sie dazu veranlaßt?«
    Der Lange antwortete nicht gleich. Er war blaß; die Finger seiner linken Hand spielten an der Stuhllehne.
    Ite-ska-wih senkte die Lider halb. Sie wollte die Eindrücke, die von ringsumher auf sie einwirken konnten, abwehren. Sie wollte nichts sehen als Laughlin, nichts hören als seine Stimme; sie wollte Laughlin werden, auf dem Zeugenstuhl sitzen und Angst haben, um ihm aus seiner Angst herauszuhelfen, bis zu einer ungehemmten freien Aussage.
    »Was hat Sie dazu veranlaßt, den Dienst zu quittieren?« fragte Rencho zum zweitenmal.
    »Es war zu unruhig geworden nach dem Aufstand.« Laughlin sprach mit nervösen Unterbrechungen wie ein Stotterer. »Kein geordneter Dienst mehr. Es hat mich krank gemacht.«
    »Was hat Sie krank gemacht?«
    »Einspruch!« rief die Gegenseite. »Die Fragen haben mit den Anklagepunkten nichts zu tun.«
    »Dem Einspruch stattgegeben«, entschied der Vorsitzende. »Mister Rencho, bleiben Sie bei der Sache.«
    »Euer Ehren, ich komme zum Kernpunkt. – Mister Laughlin, was hat Sie krank gemacht? Die eindeutigen nächtlichen Aufträge? Die Killeratmosphäre?«
    »Man… man muß ja… nachts schlafen dürfen. Sonst träumt man tags schlecht. Ich bin zu alt und zu krank.«
    »Sie wissen, daß Louis White Horse ein Killer war. Er hatte den Auftrag, des Nachts Queenie King zu folgen, sie zu erschießen.«
    »Ich kann nicht aus dem Dienst plaudern, Mister Rencho. Was die Aufträge waren, das weiß der President.«
    »Verbrecher zu verfolgen«, rief der Chief-President wütend, ohne gefragt zu sein.
    Der Richter verwies ihm die Einmischung.
    Die verkleideten Fragen und die unsicheren, ausweichenden Antworten setzten sich fort. Laughlin stotterte immer hilfloser.
    Ite-ska-wih wurde unruhig. Die Halbwahrheiten und das Geplänkel von Frage und Antwort störten sie auf. Je weniger Laughlin ruhig auf dem Zeugenstuhl sitzen konnte, desto weniger vermochte sie die Ruhe zu bewahren. Es ging um Morde, um blutige niederträchtige Folterungen in der Nacht, unter denen ein Robert gestorben war, aber da saßen und standen sie und wickelten Wörter um die Wahrheit, um das Sterben von Menschen; sie schämten sich nicht, aus den Lügenfäden Gespinste zu fertigen, die Wahrheit nur halb durchsichtig zu machen. Laughlin war selbst ein Killer gewesen. Er bereute, aber er wollte nicht mit dem Leben oder der Freiheit büßen. Versteckt bleiben wollte er. Sie konnte nicht mehr mit ihm auf dem Zeugenstuhl sitzen, diese Kraft verließ sie. Sie mußte sich schämen, ihm einen schlauen Rat gegeben zu haben, den er befolgte.

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