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Das helle Gesicht

Das helle Gesicht

Titel: Das helle Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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er.
    Diese Mitteilung war ein Vertrauensbruch.
    Geschehen war geschehen.
    Wo steckte die Wurzel des Übels?
    In der Angst. Die Angst verwirrte. War Angst indianisch?
    Doch wohl nicht. Kraft zum Überwinden der Angst war indianisch. Konnte irgendeiner solche Kraft von dem langen Polizisten erwarten, der sich als Kirchendiener versteckt hielt?
    Norris wollte die Angst dieses Mannes schonen. Wider Willen hatte er ihn verraten, weil er Ite-ska-wih vertraute.
    Ite-ska-wih fragte Hanska, was er denn über die Vergangenheit des Langen wisse, und erfuhr viel. Inya-he-yukan und Wasescha waren mehr als einmal mit dem eifrigen Indianerpolizisten zusammengestoßen. Im Grunde hätte ihm niemand zugetraut, daß ihm eines Tages die Killerfunktion leid werden würde. Niemand zweifelte, daß er bis dahin Morddienste geleistet hatte.
    Er hatte sich aber endlich losgesagt.
    »Geschehen ist geschehen«, sagte Hanska eines Nachts zu Ite-ska-wih. »Laß das Grübeln. Ich sehe dir an, wie du Tag und Nacht grübelst; deine Gedanken sind nicht bei uns. Laß das Grübeln sein. Rencho wird wissen, was er tut, um Wasescha zu retten. Wasescha ist mir wichtiger als dieser James. Verstehst du?«
    »Ich verstehe es, Hanska, und doch bin ich schuldig.«
    »Nicht mehr als Norris. Künftig hältst du den Mund, ja?«
    »Ja. Aber das ist ein Ausweichen. Darf man der Angst nachgeben?«
    »Der eigenen nicht. Was mich betrifft, so würde ich freilich auch andere Feiglinge nicht schonen, nicht nur den in mir selbst verfolgen.«
    »Wie du das sagst. Du weißt ja gar nicht, was feige ist, weil du es selbst nicht sein kannst.«
    »Kann man nur das verstehen, was man selbst ist?« Hanska lachte leise bei seinen Worten.
    Ite-ska-wih kannte dieses Lachen nun schon. »Weißt du denn, wer du selbst bist, Hanska?« fragte sie nachdenkend. »Du bist auch deine Väter und Mütter und Vorväter und Vormütter – und vielleicht dein Schutzgeist.«
    »Und mein Wahlvater und meine Wahlmutter.«
    »Diese am meisten, Hanska. Deshalb kannst du Feiglinge nicht leiden, nicht einmal, wenn sie sich zum Guten wenden.«
    »Wenn sie kneifen, meinst du, wie das eben ihre Art ist.«
    »Wie denkst du über Margot?«
    »Sie hat nicht um sich selbst Angst.«
    »Der Lange hat um seinen Sohn Angst.«
    »Nur?«
    »Der Killerchief hat den Sohn bedroht, nicht James selbst. Der Killerchief weiß, wie man Männer umbiegt, so daß sie den Kopf bis zum Boden neigen.«
    »Oder bis sie fliehen. Was willst du nun machen, Ite-ska-wih?«
    »Nichts, Hanska, als Angst haben, daß etwas Schlimmes aus meiner Geschwätzigkeit entsteht.«
    »Hör auf mit deiner Angst, Ite-ska-wih. Sie gehört nicht hierher. Wir leben zwischen Mördern und Feiglingen, aber wir sind vom Stamm des Inya-he-yukan. Wir können Fehler machen, aber herumjammern vor uns selbst und vor den anderen, das tun wir nicht.«
    »Hau, Hanska. Halte mich fest.«
    Ite-ska-wih legte den Kopf auf Hanskas Schulter. Sie hörte seinen Atem und fühlte ihn beim leisen Ausdehnen und Nachgeben seiner Brust.
    Da der Raum im Blockhaus nicht groß war, konnte jeder, der wach war, verstehen, was der andere sagte. Das Gespräch zwischen Hanska und Ite-ska-wih war nicht glatt und schnell verlaufen. Hanska benutzte im persönlichen Gespräch mit Ite-ska-wih jetzt schon die Stammessprache, die sie noch stockend sprach und manchmal mißverstand, wenn ihr auch von Untschida her aus Kinderzeiten ein wenig davon bekannt geworden war, meist Worte, die die beiden benutzten, wenn sie von den Bewohnern der Straße nicht verstanden werden wollten. Während Hanska und Ite-ska-wih miteinander versuchten, das Wahre in einer Wirrnis herauszufinden, hatten sich die anderen nicht gerührt. Wie in festem Schlaf lagen sie da, Untschida, Wakiya, Elwe. Doch bei Tagesanbruch, als alle ihr Lager verließen und zu der Pumpe auf dem Hügel hinaufgingen, von dem aus das Land im Lichtflimmern des Sonnenaufgangs überblickt werden konnte, fühlte Ite-ska-wih die Teilnahme Wakiya-knaskiyas. Nach dem einfachen Frühstück, das man sich aus Hanskas und Ite-ska-wihs Lohn, aus Wakiyas Wohlfahrtsunterstützung von fünfunddreißig Dollar im Monat und aus Untschidas und Ite-ska-wihs Einnahmen aus Kunsthandwerk von zusammen etwa fünfzig Dollar monatlich leisten konnte, ging Wakiya-knaskiya hinüber zu dem kleinen Friedhof. Ite-ska-wih hatte ihn dort schon ein paarmal sitzen sehen; Hanska erzählte ihr, daß Wakiya als Kind sehr oft dort am Grabe des alten Inya-he-yukan gesessen hatte, um

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