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Das helle Gesicht

Das helle Gesicht

Titel: Das helle Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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wie sie sich mit Hanska zusammen vor dem alten Geheimnismann gefürchtet hatte, aber sie fühlte sich zugleich von Rote Krähe angezogen. Ein Schauer lief durch ihre Nerven bis zu den Fingerspitzen, obgleich Rote Krähe nur eine ganz einfache, ganz natürliche Tatsache erwähnt hatte, die für eine richtige Pferdehaltung wichtig werden konnte. Seine Stimme hatte einen verdeckt gedämpften, nicht einen offenen Klang wie die Hanskas. Ite-ska-wih spürte ein Geheimnis, mit dem sie noch nicht fertig wurde. Dieser Siksikau hatte einen ungewöhnlich schmalen Langschädel; seine Hautfarbe war dunkelbraun. Die Haare trug er anders geordnet als ein Dakota. Ray schien sich neben Rote Krähe noch wie verloren zu fühlen. Das, was er ausgezeichnet konnte, nämlich schießen, kam hier nicht zur Geltung, denn es zeigte sich kein Feind, und so gut wie Ite-ska-wih wußte er, daß er nicht mit dem Krachen von Probeschüssen die Killer herbeiziehen durfte.
    Ray wandte sich an seine Schwester: »Wir müssen bald reiten lernen, das ist jetzt das wichtigste für uns!«
    »Wichtiger als Auto fahren«, bekräftigte Iliff.
    Ite-ska-wih bemerkte, wie Rote Krähe sie und Ray prüfend ansah.
    »Ich will es versuchen«, sagte sie. »Die Pferde sind müde und aufgeregt – also nur ein paar Schritte.«
    Rote Krähe nickte nur beifällig. Iliff schaffte Zaumzeug herbei; Rote Krähe holte den Braunen; sie zeigten dem Mädchen, wie das Pferd gesattelt wurde.
    Leicht schwang sich Ite-ska-wih in den Sattel. Als sie sicher saß, schaute sie in die gespannten und freudigen Gesichter der anderen und darüber in die Weite des Landes. Sie spürte den Wind im Gesicht. Auf dem Rücken eines Pferdes über der Prärie wie die Generationen ihrer Ahnen, wie ihre neue Familie, wie Inya-he-yukan und Hanska! Ihr Herz schlug hoch.
    Als der Braune, von Iliff geführt, im Schritt ging, war ihr zuerst wieder unsicher zumute. Es war doch gut, daß Hanska ihren ersten Reitversuch nicht beobachtete.
    Iliff erklärte ihr, wie man das Pferd leiten mußte. Rote Krähe befestigte ein Lasso am Sattel, und sie hieß den Braunen im Kreise traben. Ite-ska-wih mußte sich dem Rhythmus des Pferdes anpassen.
    »Das genügt für den Anfang – der Braune ist müde.«
    Rote Krähe brachte das Pferd zum Stehen, und Ite-ska-wih stieg ab.
    Die jungen Menschen auf der Pferdwiese und in der Blockhütte fühlten sich alle wie Geschwister. Für die gleiche Sache, für die Freiheit des Indianers, waren sie bereit, alles Leben zu wagen, und kein Zweifel beschlich sie rücklings. Aber sie waren auch sehr verschieden nach Charakter und nach der Lebenserfahrung, die sich einem jungen Menschen schon tief und unverlierbar einprägte. Sie fühlten, wie sie erst durch ihre gemeinsamen Erlebnisse zusammenwachsen konnten.
    Als die Pferde ruhig blieben, gingen die jungen Leute und Iliff miteinander in das Blockhaus. Ite-ska-wih fing unter Anleitung von Hetkala eine Stickerei mit Stachelschweinsborsten auf Leder an und mühte sich sehr damit. Ray und Rote Krähe hockten in einer anderen Ecke. Rote Krähe war begierig, sich von Ray aus dem Leben eines Indianers in der großen Stadt berichten zu lassen, vom Großen Tipi in der schmutzigen Straße, vom Keller, von der Gang, von der Arbeit, vom armseliger Lohn, von Untschida, die die Kinder inmitten des Elends die Weisheit der Prärie gelehrt hatte, und er wurde nicht müde, von Joe Inya-he-yukan Stonehorns Erscheinen, dem letzten Blick seiner zwingenden Augen und von seinem Tod zu hören.
    Hanska schlug die Lider auf, er hatte nicht mehr geschlafen.
    »Inya-he-yukan hatte dreißig Winter gesehen. Er war ein Häuptling und ein Geheimnismann«, schloß er das Gespräch.
     
    Das Warten auf Tatokala, auf eine Botschaft von den Aufständischen, dehnte sich dahin. Es wollte schon Abend werden. Hetkala machte Feuer im Herd.
    Das Warten war wie eine lederne Fessel. Es ließ keine freie Bewegung der Gedanken und des Gefühls aufkommen. Das Gehör war ins Lauschen eingespannt. Kam Tatokala, die Botin aus dem Ring der Eingeschlossenen? Kam vielleicht ein anderer Bote? War jemand abgefangen worden? Erschossen worden? Es war zwecklos, darüber zu reden, da niemand etwas wissen konnte. Überflüssige Worte zu machen, war keiner gewohnt.
    Rote Krähe hatte sich jetzt erstaunlicherweise zu Hetkalas alter Freundin gesetzt. Sie hieß Dorothy, so viel wußten schon alle. Das große Haus gehörte ihr, das wußten sie auch. Das weiße Segeltuchzelt draußen gehörte ihrem

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