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Das helle Gesicht

Das helle Gesicht

Titel: Das helle Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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Belagerten erreichten, nahmen Hanska und Rote Krähe sie in Empfang.
    Ite-ska-wih fühlte Hanskas kräftige Hände, die sie in eine Mulde hereinzogen. Er steckte ihr ein Stückchen Brot in den Mund und nahm sie unter eine Decke.
    Sie war da. Sie war bei ihm.
    Unversehrt.
    Leises dumpfes Trommeln füllte ihr Gehör aus; sie wurde sich dessen erst jetzt bewußt – oder hatte es eben erst begonnen?
    Hanska und Krähe führten die beiden Frauen wieder zu Waseschas gebrechlicher Hütte. Auf dem Weg dahin erkannten Ite-ska-wih und Hetkala trotz Regen und Finsternis, daß etwas im Gange war. Es fanden Vorbereitungen statt, nicht nur organisatorische Einteilungen, sondern Vorbereitungen im Innern, im Geist des Menschen selbst; die Trommeln führten ihre gedämpfte Sprache, eine dumpfe geheimnisvolle Sprache, die sich mit dem Dunkel der Nacht verband. Das Dunkel selbst sprach, und Ite-ska-wih konnte es verstehen, obwohl sie nicht in Worten hätte ausdrücken können, was sie hörte. Was das Dunkel offenbarte, konnte man nur singen. Ite-ska-wih vernahm leisen Gesang zu den Trommeln. In ihm war Kraft verborgen. Er konnte lauter werden, wenn die Stunde dafür kam, und die Trommeln konnten dröhnen, sobald sie dazu aufgerufen wurden. Aufgewühlt vom Singen der Menschen und der Trommeln, beklommen von den abgeschirmten Tönen unter sacht geführten Klöppeln aus kaum geöffneten Lippen, ließ Ite-ska-wih ihre Füße über die nasse Wiese laufen; sie hielt sich mit Hetkala zusammen dicht hinter Hanska.
    In der Hütte fanden sie Tatokala, die schon vor einer Stunde durch den Ring hindurchgekommen war. Wasescha war draußen bei denen, die trommelten und sangen. Ite-ska-wih packte den Beutel aus, den sie mitgebracht hatte: Lebensmittel und Medikamente, das Übliche, das Nötigste. Sie legte beiseite, was für den herzkranken Gerald bestimmt war. Tatokala griff zögernd danach, oder war es mehr eine traurige Bewegung – . »Er ist tot«, sagte sie und legte die Medikamente zu allem anderen. »Eingeschlafen. Nun wandert er den weiten Weg.«
    Ite-ska-wih trauerte mit Tatokala, die den Bruder verloren hatte. Die beiden und Iliff waren Waisenkinder. Auch Helles Gesicht war ein Waisenkind. Sie fühlten miteinander.
    Wasescha kam zurück. Hetkala legte die beiden Geistertanzgewänder, die sie angefertigt hatte, zurecht. »Für Hanska und Rote Krähe.«
    »Gut, Hetkala. Morgen tanzen wir den Geistertanz, denn die Not des Indianers ist wieder groß. Sie haben vor, uns ein Ultimatum zu stellen. Wir sollen aufgeben, oder sie schießen uns alle zusammen. Es heißt, sie werden uns das Ultimatum tatsächlich stellen. Wir wollen vorbereitet sein. Sie wollen uns ermorden wie sie Bigfoot, seine Männer, Frauen und Kinder vor einem Jahrhundert ermordet haben. Wir liegen hier an ihrem Grab. Sie sind nicht vergessen.«
    »Wir ergeben uns nicht«, sagte Hanska. Er sagte es ganz einfach, so einfach, wie er dachte und empfand.
    Rote Krähe schlüpfte herein, und je nachdem sich Platz fand für Hanskas Freunde, ließen sich Bob mit dem runden Gesicht, das jetzt von Hunger eingefallen war, Robert der Trotzige, Cowboy Percival und Bert, einst Alices Mitschüler, sehen. Hanska verteilte, was da war, auch zum Weitergeben.
    »Glaubt ihr, sie tun es?« fragte Bob.
    »Mag sein, sie tun es aus Blutdurst«, antwortete Wasescha. »Kann auch sein, sie tun es nicht – aus Feigheit. Wir sind bewaffnet und zielen besser.«
    »Du denkst nicht, daß sie sich schämen, es ein zweitesmal zu tun?«
    »Nein, Bob, das denke ich nicht.«
    »Aber heute wüßten mehr Menschen von ihrer Untat.«
    »Das schon. Doch verstehen sie ausgezeichnet zu lügen. Wenn man sie hört, so haben wir dann einen blutigen Ausfall gemacht, und sie mußten sich wehren.«
    »So sind die Watschitschun«, sagte Hanska. »Sie haben meine Wahlmutter ermordet und behauptet, sie lebe noch. Sie haben meinen Wahlvater aus dem Hinterhalt erschossen.«
    Rote Krähe hatte jedem der Sprecher aufmerksam in die Augen und auf die Lippen gesehen. Endlich glaubte er, daß die, die hier gesprochen hatten, die Forderung der Feinde abweisen würden. Ite-ska-wih hatte keinen Herzschlag lang daran gezweifelt. Sie fühlte einen hohen Stolz und in aller Not eine festgefügte Freude; es gab sich so, daß sie bei Hanska im Ring war, eingeschlossen von den Feinden, aber auch geschlossen in sich selbst und zusammengeschlossen mit ihm.
    Da niemand anderes mehr etwas sagen wollte, brachte Rote Krähe seine Mitteilung vor, wegen

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