Das helle Gesicht
den Lebenden und den Toten. Sie wußte nicht mehr, wie der Mond wanderte, wie die Stunden liefen, wie irgendwo fern ein Rind brüllte und ein Kojote heulte. Sie wußte nichts mehr von den Belagerern, aus deren Reihen kein Ton kam. Sie war nicht mehr Ite-ska-wih allein, abgegrenzt, für sich denkend und fühlend; sie verfloß mit den anderen zu einem Strom in den großen Wellen des Singens und Dröhnens, des Mutes und der Gewißheit. Der Indianer lebte; er würde weiterleben und nicht sterben.
Ite-ska-wih und die anderen Frauen reihten sich in den großen Kreis ein. Auch sie wurden nicht müde und spürten die Kälte, den Hunger und die Erschöpfung nicht. Sie sangen in dem Wind, der ihnen den Atem gab, sie stampften auf der Erde, die ihre Mutter war. Sie fühlten Unvergänglichkeit, nicht dahinrinnende Stunden.
Als die Sonne wie von neuem rotem Blut gefüllt am Horizont heraufzog, war Ite-ska-wih betäubt. Sie hörte noch die Trommeln, als sie schon schwiegen; ihre Lippen sangen noch das Lied, als sie sich nicht mehr bewegten; ihre Augen schauten noch den Indianer, als sie schon von den Lidern bedeckt waren; ihre Füße zuckten im Rhythmus und spürten ewige Erde, während sie Ite-ska-wih nicht mehr trugen. Sie begriff nichts als Freiheit und Sieg, während die Belagerer sehr laut wurden und von rings her verkündeten, daß die Aufständischen sich bis zum Abend ergeben müßten oder sie würden zusammengeschossen.
Ite-ska-wih war in eine Decke eingeschlagen. Hanska saß bei ihr. Es wurde heller Tag.
Ite-ska-wih schaute Hanska an. Ihre Augen hatten einen ungewöhnlichen Glanz; ihre Hände waren warm, ihre Wangen heiß. Sie richtete sich auf, legte den Kopf in den Nacken, um die Weite der braunen Prärie und des blauen Himmels recht zu sehen. Sie dehnte die Brust und hob die Schultern. Wie schön war sie! Sie fühlte selbst, wie ihr Blut pulste. Hanska-Mahto stand neben ihr, hoch gewachsen, aufrecht und unnachgiebig. Das Geschrei der Feinde glitt von ihm ab; es konnte kaum die Nerven seiner Haut berühren. Er lächelte das Leben an, das Leben des Indianers, Ite-ska-wih, die er liebte.
Sie gingen miteinander umher. Um sie herum saßen, standen, gingen die Menschen, die sich von der langen Nacht des Tanzes gekräftigt fühlten. Keiner fror, keiner hungerte, keiner fürchtete sich. Mochten die Feinde reden, mochten sie drohen. Sie konnten nicht einen erschrecken oder beugen, weder Mann noch Frau.
Wasescha hatte sein kleines Radio in Gang gesetzt und ließ den amerikanischen Militärsender krächzen.
Das Ultimatum lief.
Der Sender gab im Lande und weit darüber hinaus bis in andere Erdteile bekannt, daß die Aufständischen nicht nachgaben.
Sie verlangten die Rechte des Indianers und wollten eher sterben als am Boden kriechen.
Die Zeit lief.
Es wurde Mittag.
Ite-ska-wih und Hanska standen in der Sonne beieinander. Die Strahlen spielten um sie, spiegelten sich in ihren dunklen Augen, machten das Braun ihrer Haut kraftvoller, trieben ihr Blut schneller an. Wie schön war Mahto! Ebenmäßig gewachsen, kraftvoll. Seine Bewegungen hatten einen harmonischen Rhythmus so wie sein Körper ein harmonisches Maß. Ite-ska-wih sehnte sich nach ihm. Ihr Körper brannte. Vielleicht starben sie beide, wenn der Abend kam. Es war ihnen vergönnt, miteinander zu leben und miteinander zu sterben. Nichts konnte sie trennen.
Sie wollten eins sein. Das war die Seligkeit, ehe sie vielleicht Abschied nehmen mußten, um den weiten Weg zu wandern.
Sie fanden einen Wiesenfleck, eine Mulde nicht fern des Großen Grabes. An diesem Grabe wollten sie neues Leben pflanzen. Sie umarmten sich, sie fühlten einander, nichts war mehr zwischen ihnen. Sie schlossen die Augen und erlebten das nicht Nennbare in überwältigender Kraft und Zuversicht.
Die schreienden, drohenden Feinde waren zum Lachen. Sie würden nicht wagen, zu schießen, zu morden, das Blut so vieler Menschen zu vergießen. Das Kind, das am Großen Grabe auf der Erde des Indianers und unter seinem Himmel gezeugt war, würde leben. Hanska-Mahto und Ite-ska-wih waren sehr jung. Sie würden es heranwachsen sehen. Mit einem sanften ruhigen Lächeln gingen sie zu den Kampfgefährten zurück.
Man brauchte nicht viel zu reden, da es keine Zweifel gab, sondern nur das trotzige Warten. Die Männer legten sich ihre Waffen zurecht. Wenn die Belagerer das Gemetzel beginnen würden, wollten sie nicht kampflos sterben.
Der Sender sprach davon, daß die Aufständischen sich dem Ultimatupi
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