Das helle Gesicht
ohne sich noch um die Kranke zu kümmern, fand ein ledernes Lasso und ein Beutelchen und verschwand damit aus dem Hause. Er hatte vor sich selbst Angst und vor dem, was er tun mußte.
Das Unwetter hatte sich gelegt. Zu spüren waren nur noch seine Nachwehen, der abflauende Wind, der dünne Sprühregen; zu sehen waren blaue Himmelsflecke zwischen grau-weißen Wolken, die sich in großen Wasserlachen spiegelten. Vögel zwitscherten schon wieder. Der Bach zog sich in sein Bett zwischen den Ufern zurück.
Rote Krähe ging am Ufer aufwärts. Ite-ska-wihs Spuren waren fast ganz verwischt; eine einzige Abzeichnung ihres Fußes auf einem Sandfleck bemerkte er.
Sobald er den Biberbau in der Nähe wußte, ohne ihn zu sehen, legte er sich zu Boden und schlich wie ein Jäger. Die sehr wachsamen Tiere durften ihn nicht bemerken.
Aber er bemerkte sie. Sie waren eifrig mit dem Zerteilen und Einbauen der Reste des gefällten Baumes beschäftigt.
Mit unendlicher Geduld, einen kleinen Strauch vor sich herschiebend, gelangte er auf Griffweite an den Bau.
Der alte Biber war nun doch aufgestört. Er äugte, und gleich würde er in seinem Bau auf Nimmerwiedersehen verschwinden. Dann mußte man eine Biberfalle aufstellen, die aber nicht vorhanden war, oder den Bau zerstören und die Tiere erschießen, was Rote Krähe niemals tun würde. Es blieb nur eine einzige Möglichkeit, eine Möglichkeit, die Weiße nicht kannten. Er schnellte sich ab wie eine große Raubkatze, fiel auf den Biber und packte ihn mit Knien und Händen; das Lasso hatte er um den Nacken geschlungen. Der Biber wehrte sich wütend. Er war glatt wie ein Fisch, stark und gewandt. Er kratzte und er biß mit seinen langen Nagezähnen. Er riß Rote Krähe große Wunden. Das Blut des Mannes floß. Er wußte nichts davon. Er wollte den Biber fesseln; nichts anderes konnte ihn beschäftigen.
Der Kampf währte lange. Alle anderen Biber waren längst im Bau verschwunden. Sie beobachteten heimlich, was geschah, aber Rote Krähe wußte davon nichts. Er rang mit dem Alten, dem Herrn des Biberbaues.
Manchmal glaubte er ihn zu haben, aber wenn er ihn fesseln wollte, entglitt er ihm wieder. Er war viel schwerer festzuhalten als ein Mensch. Endlich hatte er ihn lassoumschlungen in seiner Gewalt. Er blutete am ganzen Körper, sein Kopf war zerkratzt, seine Schultern aufgerissen, seine Arme zerbissen. Ein Finger fehlte ihm an der rechten Hand. Er hechelte wie ein gehetzter Hund.
Der Biber lag, unbeschädigt, gefesselt, vor ihm im Gras, ganz still, aber lauernd auf jede Möglichkeit, sich zu befreien.
Rote Krähe suchte die Säcke an den Hinterschenkeln; sie waren prall gefüllt mit dem Saft, der heilende Medizin war. Heilende Medizin blieb dieser Saft für Ite-ska-wih aber nur, wenn der alte Biber nicht dafür starb.
Rote Krähe hatte dem Tier das Lasso straff durch das Maul gezogen; viel anderer fester Halt war an diesem Körper nicht zu finden. Er machte sein Messer und das lederne Beutelchen bereit. Unterdessen schnellte das Tier mit seinem starken breiten Schwanz weiter. Der Indianer sah sich um. Der Stumpf des Kalikobaumes bot eine Möglichkeit, den Biber mit dem freien Ende des Lassos anzubinden. Er ritzte mit dem Messer eine Rille rings ins Holz, schleifte das Tier zu dem Baumstumpf und machte es da fest. Dann gelang es ihm, gegen den fortgesetzten Widerstand des Tieres an den beiden Geilsäcken je einen kleinen Schnitt anzubringen und etwas von dem heilenden dicken Saft in sein Lederbeutelchen zu drücken. Als er das geschafft hatte, machte er den Biber los, der ihn dabei noch einmal tüchtig biß und dann sofort in seinem Bau verschwand.
Rote Krähe atmete auf.
Um seine Kratz- und Bißwunden kümmerte er sich nicht. Sie konnten von selbst verharschen. Der kleine Finger an der rechten Hand würde ihm sein Leben lang fehlen. Dieser Verlust und die Narben sollten ihm eine Erinnerung bleiben. Er machte sich auf den Rückweg, nicht mehr schleichend, sondern mit großen Sprüngen. Vor der Tür des Blockhauses blieb er für kurze Zeit stehen und sammelte seine Gedanken.
Er wußte nicht, ob Ite-ska-wih lebend auf ihn gewartet hatte.
Langsam, behutsam öffnete er die Tür.
Ite-ska-wih hatte sich auf ihrem Lager ausgestreckt. Sie schaute ihm nicht entgegen, sie schaute zum Blockhausdach hinauf und rührte sich nicht. Aber sie lebte; ihr Pulsschlag hatte nicht ausgesetzt.
»Ich war bei dem alten Biber«, sagte Rote Krähe deutlich und streng. »Er hat mir von seiner Medizin
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