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Das helle Gesicht

Das helle Gesicht

Titel: Das helle Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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gelingt.«
    Hanska-Mahto streckte seine rechte Hand aus; Rote Krähe ergriff sie. So gelobten sich die beiden Freunde, daß sie einander treu bleiben und vom Kampf nicht ablassen wollten. Weitere Worte wären jetzt nicht mehr gewesen als flüchtig verwehender Wind.
    Die beiden ruhten kurze Zeit und strebten dann im Dauerlauf zum kahlen Berg. Ebenso wie Hanska war Rote Krähe im Reiten und Laufen gleich geübt; sie hatten Beinmuskeln wie Athleten. Hanska fühlte nach den Pistolen unter seiner Jacke; diese eine Bewegung verriet alle seine Gedanken:
     
    Ite-ska-wih war zu jener Stunde aus dem Blockhaus hinausgegangen. Sie wurde von den Pferden auf der Weide mit Schnauben begrüßt; die Hunde waren um sie her. Aber der Wind und die Wolken blieben dem Menschen feindlich. Die Luft zog steif daher und stieß immer wieder in heftigen Böen gegen die Hindernisse, gegen Berg, Baum und Blockhaus. Aus den Schluchten und rissigen Höhen der nahen Bad Lands heulte es, seufzte es, pfiff es. Der Bach am kahlen Berg war angeschwollen, sein Wasser überspülte die Ufer. Ite-ska-wih ging ein Stück aufwärts und schaute nach den kunstvollen Biberbauten. Sie waren unbeschädigt, aber die Biber arbeiteten jetzt nicht. Den einzelnen Kalikobaum freilich hatten sie mit ihren scharfen Zähnen schon zuvor angenagt, bis er gestürzt war und sie ihn nun für ihre Bauten hatten nutzen können. Gut war das für die Biber, schade war es um den Baum, der so viele Jahre gebraucht hatte, um im unwirtlichen Gelände groß zu werden. Ite-ska-wih dachte an das Märchen vom Steinknaben, das Hetkala dem Jungen Iliff schon dreimal hatte erzählen müssen; immer wieder wollte er es hören. Biber hatten die Seele des Menschen, hatte Hetkala gesagt. Man durfte sie nicht stören.
    Ihr Kleinen, ihr Klugen, wir stören euch nicht. Könnt ihr uns noch einen Rat geben? Es ist dunkel um uns. Versprechungen haben uns die Mächtigen gemacht; listig haben sie unsere besten Männer in Wortfallen gelockt. Die Männer, die dem Hunger und der blutigen Drohung getrotzt hatten, waren von feinen, schleimigen Schlingen gebunden wie von tödlichen Spinnenfäden. Sie gingen auseinander. Die Regierungsspinne hatte die Kraft aus ihnen herausgesaugt.
    Ite-ska-wih hatte im Blockhaus eine zweite Meldung des krächzenden Radios gehört und es unter diesem Eindruck verlassen. Sie wußte, wie es stand. Ihr Leben im Keller in der großen Stadt, an der feindseligen Straße hatte sie geprägt; das Mißtrauen und die Angst kamen aus allen Winkeln in ihr wieder hervor und überwältigten sie. Inya-he-yukan, großer toter Häuptling, weißt du in deinem Berggrab, was geschieht? Du bist verraten. Hättest du deine Stimme erheben können, unsere Männer wären nicht überlistet worden. Warum haben sie deinen Wahlsohn Hanska-Mahto zum Blockhaus weggeschickt, als die Entscheidung bevorstand? Warum haben sie das getan? Er ist noch jung, aber er würde mit deiner Stimme gesprochen haben, Inya-he-yukan. Verraten sind wir jetzt alle, übertölpelt. Der Killerchief wird bleiben und Jagd auf uns machen.
    Warum zeigst du dich nicht, alter Biber? Weißt auch du keinen Rat mehr für uns?
    Ite-ska-wih stand am rauschenden Bach, von den Windböen gebogen und geschüttelt wie ein noch junger Baum. Die Dunkelheit rings machte alles zu Gespenstern. In der nächtlichen Kälte glühte sie. Hanska! Mahto! Du Bär, wo bist du? Sie werden dich verfolgen, weil du im Ring warst. Der Killerchief regiert. Du wirst deine Waffen ziehen, einer gegen viele, und sie werden dich töten. Ich trage dein Kind unter meinem Herzen. Es wächst in die Welt des Unrechts hinein. Wofür sind wir Indianer geboren? Wären wir nie geboren worden!
    Ite-ska-wih brach der Schweiß am ganzen Körper aus. Ihre Schläfen waren heiß. Sie konnte die Richtung, in der sie ging, und die Hindernisse im Wiesenboden nicht mehr erkennen. Sie trat fehl und stürzte. Als sie sich aufrichten wollte, gelang ihr das nicht. Sie blieb hilflos liegen, hörte den Bach rauschen und den Wind mit hohlem Geheule durch die Schluchten der Bad Lands irren.
    Den werdenden Tag nahm sie nur verschwommen wahr. Der Bach war schmutzig, er riß viel Erde mit und sah gelb aus. Die Biber hatten sich verkrochen. Ihre Bauten, durch den gefällten Baum verstärkt, konnten den Gewalten standhalten.
    Ite-ska-wih faßte ein nasses Grasbüschel, als könne es ihr Kühlung und Halt geben. Ihre Pulse hämmerten. Ihre Stimme hatte keine Kraft mehr. Den Namen »Mahto« formte sie nur

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