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Das helle Gesicht

Das helle Gesicht

Titel: Das helle Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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Familienähnlichkeit Waseschas mit seinem Vetter Inya-he-yukan kam ihm dabei wieder einmal zum Bewußtsein. Die beiden waren zu Lebzeiten Inya-he-yukans leicht zu verwechseln gewesen nach Gestalt und Gesichtsschnitt. Sie hatten zwei sehr verschiedene Möglichkeiten repräsentiert, die ein so angelegter Mensch verwirklichen konnte: Inya-he-yukan, Reiter, Meisterschütze, Rinder- und Büffelhirt, Rodeosieger, in seiner Jugend aus Haß auf die Watschitschun ein Bandit, Mitte zwanzig, aber schon ein erfolgreicher Rancher, ein Vater für eigene und verwaiste Kinder, Mann einer der schönsten, sanftesten und hoch angesehenen Frauen des Stammes – Wasescha, von den Eltern weggerissen, in einem fernen grausam-strengen Internat erzogen, Collegeschüler, Lehrer in steter Opposition, gewählter Häuptling, Mann der begabten, scharf urteilenden Tatokala, auch Taga, die Bittere, genannt.
    Was würde er über Hanskas Bericht denken und was sagen?
    Er trug schwer an dem Mißerfolg eines Unternehmens, das er voll und ganz unterstützt hatte, das verstand Hanska so gut wie Ite-ska-wih. Sein Selbstbewußtsein war durch die brutale Erziehung immer gequetscht, immer wundgereizt, immer durch eine unzugängliche Haltung geschützt gewesen.
    Hanska und auch Ite-ska-wih spürten, daß in Wasescha jetzt etwas wühlte, was nicht leicht umgrenzt werden konnte. Ite-ska-wih ging plötzlich auf, daß Wasescha vor seiner Collegezeit jener Karatelehrer am Großen Tipi gewesen sein mußte, von dem sie viel gehört, den sie aber nicht mehr selbst erlebt hatte.
    »Sie kommen also in drei Tagen zu uns hierher«, sagte Wasescha endlich. Mehr sagte er nicht.
    »Robert ist sehr aufgeregt losgeritten«, bemerkte Hanska noch einmal. Aber er erhielt keine Antwort mehr.
    Wasescha blieb noch bei der verglimmenden Asche der Feuerstelle sitzen, als die anderen schliefen oder mit geschlossenen Augen so taten, als seien sie eingeschlafen.
    Des Morgens rief Wasescha die Erwachsenen im Zelt wieder zusammen.
    »Jetzt ist er zu weit gegangen, der Killerchief«, erklärte er. »Ich habe darüber nachgedacht. Die Bürgerrechte sind nicht nur eine indianische Angelegenheit; sie sind eine Sache des ganzen Landes, der ganzen Welt. Wenn unsere Freunde übermorgen hier zusammenkommen, werde ich ihnen sagen, daß wir gemeinsam in die Agentursiedlung zum Superintendent gehen und Klage erheben. Er muß mit dem Gericht zusammen veranlassen, daß Pedro exhumiert und der Mord gerichtlich gesühnt wird. Hau.«
    »Wir sollten heute oder spätestens morgen unsere Freunde in der Zentrale von New City über Roberts Absichten verständigen und sie dort besprechen«, meinte Hanska.
    »Wer geht hin?« fragte Wasescha. Er hustete. Seine Stimme klang heiser.
    »Ich«, antwortete Ite-ska-wih. »Mich könnt ihr hier am leichtesten entbehren. Hanska fährt mich vor Sonnenaufgang in die Agentursiedlung zu dem kleinen indianischen Supermarket. Die Frau, die dort verkauft, ist eine Weiße, aber sie wird mir helfen. Der Lieferwagen kommt um 7 Uhr früh und fährt um 8 Uhr nach New City zurück. Der nimmt mich mit. Oiseda hilft mir weiter.«
    Niemand stimmte gern zu. Doch Wasescha mußte bleiben, wo die von neuem Aufständischen ihn aufsuchen konnten. Hanska wollte Robert zu allen Freunden nachreiten, denn Robert war ein Feuerkopf, ungehemmt, und Hanska bedauerte schon, daß er ihm nicht sofort gefolgt war. Tatokala hatte die Absicht, einige Familien aufzusuchen, in denen die Männer fehlten. Hetkala mußte für die Kinder im Tipi sorgen. Blieb Ite-ska-wih – wenn sie den Mut hatte. Sie hatte den Mut. Klugheit genug traute ihr jeder zu, obgleich sie erst vierzehn war. Hanska überwand seine Sorge und erklärte sich einverstanden.
    Nach Mitternacht schon machte er sich mit Ite-ska-wih auf. Er fuhr sie bis in die Nähe der Agentursiedlung und beobachtete noch, wie sie dort unbehelligt in die Hauptstraße einbog. Dann schlug er seinen eigenen Weg ein.
     
    Ite-ska-wih war bei dem Gang, den sie jetzt unternahm, auf sich selbst gestellt; sie war von dem besonderen Gefühl belebt, das eine Aufgabe, eine Gefahr und persönliche Verantwortung verleihen. Sie hatte sich schon allein mehrmals durch den Belagerungsring geschlichen und war allein zu den Bibern gegangen, um sie zu beschützen; ihr Selbstbewußtsein war erwacht und stärker geworden, als es sich im Keller bei Großmutter und Bruder hatte entwickeln können. Hanska hatte ihr vertraut, sogar viel zugemutet; das war nicht ohne Wirkung geblieben.

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